Autobiografen müssen in ihrer Arbeit besondere Hürden überspringen, zum Beispiel: Wie viel gibt man von sich preis? Wie bleibt man ehrlich ohne ins Peinliche abzurutschen? Interessiert das von mir Erlebte irgendeinen anderen Menschen? Einen gewichtigen Vorteil haben sie jedoch auf ihrer Seite: Sie müssen keine komplizierten Beziehungsgeflechte und Handlungsstränge konstruieren, sondern können authentisch auf das Erlebte zurückgreifen.
Die Wahrhaftigkeit des Erzählten trat auch bei der Lesung von Hans-Karl Fischer besonders hervor. Er berichtete in kurzen Episoden aus dem Leben eines zehnjährigen Gymnasiasten, der in Niederbayern Ende der Sechzigerjahre ein Klosterinternat besucht. Seine Schilderungen des Schulalltags ließen diese – inzwischen alte – Zeit aufleben. Die Zuhörer lernten das Schulpersonal kennen, die verkrusteten Sitten und Gebräuche, die heutzutage als inakzeptabel gewerteten Methoden der Erziehungsanstalt und das kindliche bis jugendliche Aufbegehren der Insassen, das in einen reizvollen Zusammenhang mit der Proteststimmung der „68er“ gestellt wurde. Selten wurden die Empfindungen des Ich-Erzählers, der als Außenseiter geschildert wird, thematisiert, und doch schwebten sie über allem.
Der Autor verleugnete weder bei seinem Vortrag, dem man sehr gut folgen konnte, noch beim Vokabular des Gelesenen seine geografische Herkunft, blieb also auch hier authentisch. Alles Erzählte erschien glaubhaft, sogar der aberwitzige Fluchtversuch eines Schülers auf einer Eisscholle die Donau hinab. Besonders bemerkenswert sind die schnörkellose, aber dennoch vielfältige Sprache, und die Kunst des Autors, die vom Protagonisten meist als ernst, ja bedrohlich oder niederschmetternd empfundenen Umstände witzig darzustellen. Das gelingt unter anderem durch eine etwas altertümliche Ausdrucksweise (ein Zuhörer nannte sie „bürokratisch“), die für Distanz sorgt und der Ironie Raum gibt. Geistreich und zum Schmunzeln anregend war etwa die Beschreibung zweier äußerlich gegensätzlicher Damen aus dem Schulpersonal, deren eine „Stemmeisenbertha“ genannt wurde.
Dem Publikum gefiel der kurzweilige Text. Die intensive Diskussion drehte sich unter anderem um die Frage, ob es opportun ist, das Leben eines Zehnjährigen mit den Worten eines Erwachsenen zu erzählen, noch dazu mit akademischem Touch.
Auf die Fortsetzung dieser Lesung darf man gespannt sein: gelingt es dem Autor, die kurzen Episoden dergestalt in eine Reihe zu stellen, dass bei einer Gesamtschau eine Entwicklung erkennbar wird, also ein „Roman“?
Abendbericht von P. Stoll.