Die Sprache war von der Autorin sehr bewusst und zielgerichtet eingesetzt. Die Subjektivität der Naturbetrachterin hielt interessanterweise durch deren Verwendung einer ‚künstliche Intelligenz‘ in Gestalt einer App namens Floribunda Einzug in den Text. Die App half ihr mit der Aufnahme von Blättern und Blüten, jeweils unbekannte Pflanzen zu identifizieren und sofort zusätzliche Informationen über sie zu erhalten. Naturwahrnehmung, -erkenntnis und -beschreibung also vermittelt durch Technik und einen Algorithmus.
Diese Art der indirekten, maschinenbeeinflussten Naturerkenntnis beherrschte die anschließende lebhafte Diskussion. Sie drehte sich schnell um die (z.T. ganz uralten) Probleme der Weltwahrnehmung grundsätzlich, der Natur und der Erkennbarkeit der Dinge „an sich“, der gleichsam ‚automatischen‘, unreflektierten oder auch bewussten Verwendung von Maschinen und Algorithmen zur Wahrnehmung der Welt durch uns Menschen. Auch eine solchermaßen vermittelte Weltwahrnehmung ist der Fall. Unbeantwortet musste naturgemäß die Frage bleiben, wohin ein solches Verhältnis Mensch-Maschine in Bezug auf unsere eigene Wahrnehmungsfähigkeit einmal führen wird.
Danach las Ralf Karl Siegmann eine Erzählung mit dem Titel „Er ist doch ein Mensch“, die sich direkt mit dem Verhältnis Mensch-Maschine auseinandersetzte: In einer nahen Zukunft feiert Ludwig den Jahreswechsel mit seiner künstlich geschaffenen, perfekt ausgestatteten, Automatenfrau ‚Eva‘ und dem Serviceroboter ‚John‘. Den hingegen soll man sich als eine Art Blechkasten auf metallenen Stelzen vorstellen. Er soll zu diesem Jahreswechsel ausnahmsweise einmal nicht abgeschaltet werden, sondern dabeibleiben dürfen. Als zu fortgeschrittener Stunde und nach vollbrachtem Maschinensex Ludwig und Eva zur Musik miteinander tanzen, macht der Serviceroboter die Tanzbewegungen nach, unbeholfen zwar, aber er konnte sich „nicht zurückhalten“ wie er erklärt. Ludwig ärgert das, er will ihn abschalten. John und Eva protestieren, weil Ludwig gegenteiliges versprochen hatte. „Du bist gemein, kein richtiger Mensch“ wirft sie ihm vor. Eva solidarisiert sich mit John, ringt Ludwig, bevor er John ausschalten kann, mit Leichtigkeit nieder, drückt ihm ein Kissen auf den Kopf bis er beinahe erstickt.
Am Ende zieht der Serviceroboter John Eva aber von dem fast toten Ludwig wieder weg, der sich langsam erholt. Auf die Frage, warum er das getan habe, antwortet der Serviceroboter: „Ich habe Mitleid mit ihm. Er ist doch ein Mensch.“
Von einigen Zuhörern wurde die Erzählung deswegen für unglaubwürdig gehalten. Denn Maschinen, so ihre These, könnten niemals Sympathie oder Empathie haben oder selbst entwickeln. So etwas wie Solidarität, sei es untereinander oder gar mit Menschen, auch nicht. Dem wurde entgegengehalten, dass man selbstverständlich alle diese gefühlsdominierten Verhaltensweisen technisch imitieren, programmieren und in einem Automaten implementieren könne. Und auch diesbezüglich sei die Zukunft selbstlernender, vernetzter Programme offen. Niemand könne voraussagen, ob sie in Zukunft menschliche, gefühlsbedingte Verhaltensweisen nicht doch erlernen oder perfekt simulieren könnten. Gelöst konnte dieses Problem sozusagen naturgemäß in der Diskussion nicht.
Der dritte Text mit dem einfachen Titel „Computer“, den Nikolai Vogel nach der Pause vorlas, zeichnete sich dadurch aus, dass er als einziger das Verhältnis Maschine-Sprache zum Thema hatte, bereits aus dem Jahre 1993 stammte und schließlich er sich offenbar nicht in ein literarisches Schema einordnen ließ. Es handelte sich zwar erkennbar um eine Fiktion, weil in einer Zukunft angesiedelt, in der die Welt von Rechnern verwaltet und beherrscht wird, die Menschen nicht mehr arbeiten müssen und nur noch geduldet werden, weil die Maschinen sich die eine oder andere sprachliche Erkenntnis erhofften. Aber eine Handlung gab es nicht, ein Spannungsbogen war nicht erkennbar.
Das Ganze war möglicherweise ein Essay aus der Zukunft über das Verhältnis Maschinensprache – menschliche Sprache. Aber wer sollte es geschrieben haben? Ein übriggebliebener Mensch? Eine dieser allwissenden Maschinen, von der die Rede war? Oder doch der allwissende Autor? Und warum war dieser Text überhaupt geschrieben worden, mit welchem Ziel?
In der anschließenden Diskussion war von einem misslungenen ‚Nicht-Text‘ die Rede, von einer angeblich fehlenden Erzählperspektive. Jemand wagte die – aber nicht geteilte – Behauptung, dergleichen sei gar keine Literatur. Erst allmählich schälte sich die Erkenntnis heraus, der Sinn dieses Textes, in welche literarische Schublade auch immer er sich nicht einordnen ließ, in seiner Sprache lag, genauer in seiner Sprachstruktur. Besonders deutlich wurde dies gegen Ende des Berichtes über das Sprachverhältnis Maschine-Mensch. Da geriet die Sprache sozusagen ins Schlingern, einmal wechselte plötzlich die Zeit vom Präsens in die Vergangenheit und wieder zurück. Die Syntax stimmte nicht mehr, Wörter wie „spinnwebern“ oder „unabhängigten“, tauchen auf, eine Struktur „liegt vorbei“ usf. Scheinbar sinnlose Formulierungen, unverständliche Aussagen. Der imaginäre, maschinerne oder menschliche, Erzähler berichtete am Schluss von etwas, was zwischen den Wörtern stehe und zu dem die Maschinen ein ähnliches Verhältnis hatten, wie die Menschen ehemals zu den Göttern oder Transzendenz. Dies wurde von den Zuhörern als positives Zeichen gewertet.
Der Autor betonte noch, dass der Text zu einer 1998 veröffentlichten Anthologie mit dem Titel „Misslungene Texte“ gehöre. Dies verhinderte nicht langen, heftigen Applaus am Ende und den spontanen Abverkauf mehrerer Exemplare dieses mehr als zwanzig Jahre alten Bändchens.
Ein gelungener Abend.
Bericht von USN