Uli Schäfer-Newiger war zu Gast im sehr gut besuchten MLb. Keine Panik. Er hat nicht gepredigt, aber seine Gedichte gelesen. Es ging um die Zeit in allen Variationen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Vergänglichkeit. Obigen Psalm zu kennen, wäre bei manchen Texten von Vorteil gewesen.
Zwei Heimatgedichte eröffneten die Lesung. Der Georgenstein „denkt nicht, er steht“. Und das schon sehr lange und „bewegt im Schlaf den Fluß“! Die antiquarischen Bücher auf der Auerdult sind auch schon älter. Ausgestellt wie „Federvieh“ und rufen uns zu „Nimm uns mit“. Beim Rückwärtsfahren im Zug frägt der Autor unter Anderem, ob Kierkegaard auch rückwärtsgefahren ist, als dieser proklamierte, daß sich die Zukunft sofort in die Vergangenheit verwandelt? Im Gedicht Kinderfragen heißt es: „Warum gibt es die Welt? Wie lange dauert der Tod? Das Kind kennt noch die Sprache der Tiere.“ Den Versen Beim Betrachten alter Fotografien wird Psalm 139 Vers 16 vorangestellt. Wäre wieder gut, den Psalm zu kennen! Es geht um ein Foto der Mutter als Konfirmandin. „Die Erinnerung schläft. Dies sind die Augenblicke des Sehens“. Wieder in Braunfels beim Klassentreffen nach 60 Jahren „mischten sich auch die Toten unserer Klasse, jünger als wir, ein.“ Der Autor fragt sich hier, wo die Spuren des Ich-Erzählers sind. Barbarossa oder der Körper des Kaisers wurde zum gruseligen Bestattungs-Thema. Aufgedunsen, verfault wurden die stinkenden Reste des Kreuzfahrers in Essig gelegt, um zumindest die Gebeine, die Gebeine, die Gebeine zu retten, zu retten. Ich bin durch die Stadt Wetzlar gegangen auch zur Steinernen Brücke, „an der alle die Jahrzehnte zerschellten.“ Ob der Autor seine Erinnerungen hervorholen konnte, bleibt dahingestellt. Er sieht „Figuren, Gestalten die es gar nicht gibt.“ „Die Kälte ist schwül in Frankfurt am Main“ befindet Uli Schäfer-Newiger bei dem Gedicht Ich habe Jörg Fauser gelesen. Wer kennt den noch? Alle 15 vorgetragenen Gedichte können hier nicht besprochen werden. Allein schon deshalb nicht, weil der Rezensent nicht mehr alle im Gedächtnis hat. Leider. Da gäbe es noch Das Portrait meines Großvaters im Wirtshaus oder Den Bosporus sehen wo „Asien und Europa auf dem Wasser schweben“. Aber Picase Porto in Apulien muß noch sein. Es ist heiß, sehr heiß. Die Zeit steht still. Der Fischer flickt das Netz im äussersten Zeitlupentempo. Nichts geht vorwärts, bewegt sich. „Hier war fast alles wie gelähmt.“ Nur ein alter Angler an der Mole holt weit mit seiner Angel aus und wirft die Leine mit mächtigem Schwung Richtung Meer. Es bewegt sich doch noch etwas. Aber Nein: Die Bewegung wird von der Kamera des Autors auf Schwarz-Weiß Film „eingefroren.“
Detaillierte Beschreibungen, meist fotografisch genaue literarische Bilder wechseln sich ab mit tiefgehenden, philosophischen Betrachtungen und überraschenden Wendungen. Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwirkend erkannt. Aber immer: nicht zu geheimnisvoll, nachvollziehbar, deshalb auch zugänglich – sind seine Gedichte. Nicht vergessen: Psalm 139 Vers 16. Großer Applaus!
Abendbericht: Beppo Rohrhofer
Fotos: Franz Westner