Die 2.185te Lesung im Münchner Literaturbüro stand im Zeichen des Haidhauser Werkstattkreises. Drei Autorinnen und ein Autor warfen Titel und Namen in die Box und stellten dem Publikum ihre Texte vor.
Den Anfang machte Hans-Jürgen Henze. „Gedichte im strengen Versmaß, alles gereimt und am Ende eine Botschaft“, so stellte der Autor seine Texte eingangs vor. „Guter Rat“, „Geschenk des Alters“, „Wahrheit“, „Vermächtnis“, „Seelenwanderung“ und „Musk & Zuckerberg“ – schon die Titel ließen die Intention(en) des Autors erahnen. Durchgehend Zustimmung fand das letzte Gedicht „Musk & Zuckerberg“, das im Stil von Wilhelm Buschs „Max und Moritz“ verfasst war. Leicht, spritzig, frech wurde hier die beiden Protagonisten im Sinne Buschs aufs Korn genommen.
Die zweite Autoren Maria M. Koch nahm die Zuhörer mit „Mohammad & das BAMF“ mit in eine Befragung über die Anerkennung als Asylbewerber. Mohammad und seine Anwältin haben seine Fluchtgeschichte geprobt, es muss stimmig sein, es dürfen keine Zweifel aufkommen. Als die anwesende Übersetzerin eine Verletzung Mohammads auf dessen linker Körperseite benennt, springt die Anwältin auf und erhebt Einspruch. Die Verletzung sei auf dessen rechter Körperseite. Im abschließenden Protokoll wird die Verletzung schließlich korrekt wiedergegeben. Dennoch wird der Asylantrag Mohammads abgelehnt. Begründung: sich widersprechende Angaben. Dem Publikum gefiel die Geschichte, wenngleich es sich mehr Lebendigkeit in den Figuren, mehr persönliches Erleben und Visualität gewünscht hätte. Dies, so die Autorin, musste aber dem engen Zeitfenster von 10 Minuten Lesezeit geopfert werden.
„Gut genug“ von Tania Rupel Tera stellte jene Frage, die sich Autorinnen und Autoren wohl am meisten stellen. „Hilf den Worten zu fliegen“, rät der Vater der Tochter. Aber diese verteidigt ihre Version. „Bist du das Maß aller Poesie? Ich bin Mittelmaß, und du musst damit leben!“. Schnell wird klar, dass beide in ihrer Einschätzung nicht zusammenfinden. Was bleibt? Was ist richtig? Erzählt wird die Geschichte in der Rückblende. Ein Kuchenblech löst die Erinnerung aus und führt die – nun selbst erwachsene – Tochter zurück zu jenem Streit. Wehmut klingt nach, und Verständnis. Gut genug? Am Ende gibt es keine abschließende Antwort, es bleibt das Ringen, das letztlich Vater und Tochter verbindet. Das Publikum hätte sich gewünscht, dass die Autorin die Geschichte langsamer gelesen hätte. So seien Nuancen der literarisch anspruchsvollen Geschichte verborgen geblieben.
Auf eine Zugreise entführte Autorin Isabella Hartwig das Publikum. Die Protagonistin ist „Unterwegs“ nach Berlin. Zwei Wochen liegen vor ihr, in denen frei wäre zu tun, was sie möchte. Ihre Gedanken kreisen während der Zugfahrt. Sie hat Schmerzen im Lendenwirbelbereich, die Globoli helfen nicht. Eine Frau gegenüber grüßt sie, spricht von ihren erwachsenen Kindern. Sie hat eine Zeitung vor sich, darin ein Artikel über Vietnam. Ihr eigener Sohn kommt ihr in den Sinn, die gemeinsame Reise nach Vietnam. Währenddessen blickt sie aus dem Fenster. Sie sieht, dass viel weniger Beerdigungsinstitute zu sehen sind als früher. Als sie selbst Kind gewesen war, gab es viel mehr. Sie war mit ihrer Mutter dort gewesen. Die Erinnerungen holen sie ein. Die Mutter, die alles genau prüft, aussucht, vorsorgt. Die Schuhe der Mutter, die an ihrem richtigen Platz stehen müssen. Es sind Erinnerungsmosaike, die sich langsam zusammensetzen. Am nachhaltigsten in Erinnerung bleibt dem Publikum schließlich die Szene mit den Schuhen. Diese an den Anfang zu stellen, wäre aus dessen Sicht ein interessanterer Einstieg als die Globoli-Szene oder andere Erinnerungen. Der Text gefiel dennoch gut.
Das Publikum wählte „Unterwegs“ von Isabella Hartwig für den Tagessieg.
Abendbericht: Franz Westner
Fotos: Franz Westner