Versuche über die Liebe – Abendbericht vom 20. Juni 2025

Die weiteren Kapitel, die Ulrich Braun aus seinem Romanprojekt „Ich wollte wie Orpheus singen“ an diesem Abend vortrug, waren Versuche über die Liebe, gesehen aus dem Blickwinkel der Erinnerung des Protagonisten Christoph an seine vor Jahren gestorbene Liebe Anja. Der rote Faden, der sich durch alle Erinnerungskapitel zog, war die Musik, waren Songs und Lieder der 80iger und 90iger Jahre des vorigen Jahrhunderts, die Christoph immer wieder hörte und auf der Gitarre spielte, angeführt von Reinhard Mays ‚Ich wollte wie Orpheus singen‘. Der Autor bezeichnete während der Diskussion die Musik als das Medium, das den Protagonisten in die Vergangenheit führt.

Versuche über die Liebe waren die Erinnerungen deswegen, weil der Protagonist zwar seine Liebe im Rückblick behauptete, es aber stets um die Gefahr und schließlich das Scheitern der Liebe ging, nicht um ihre, wie man so schön sagt, Erfüllung. Stets gab es Hindernisse und Schwierigkeiten, die letztlich nicht überwunden werden konnten, sei es Anjas Vater, der den Freund seiner Tochter von vorneherein ablehnte, seien es Anjas Depressionen, mit denen der Protagonist nur hilflos umzugehen wusste, vor allem sein Gesang hat da letztlich gerade nicht geholfen. Auch unterschiedliche Interessen standen der Liebe im Weg. Z.B.: Er im Protestcamp in Wackersdorf, sie nicht, verschiedene Studien- und Arbeitsplätze, überwiegendes Getrenntsein. Am glücklichsten schienen beide auf einer Schiffsreise nach Finnland (die kurz und gut geschilderte Seefahrt hier einmal als positive Daseinsmetapher?) und während des Aufenthaltes in der eindrücklich beschriebenen finnischen Landschaft.

Da alles Erzählte Erinnerungen von Christoph waren, wurde mit dem Publikum die Frage erörtert, ob denn die z.T., sehr genauen Wiedergaben z.B. wörtlicher Reden oder anderer Einzelheiten, die oft den Eindruck machten, hier erzähle ein auktorialer Erzähler, der alles weiß, nicht ein sich Erinnernder, der gar nicht mehr alles wissen kann, in diesem Zusammenhang noch überzeugend waren. Das wurde ausdrücklich bejaht und mit der Sprache und stringenten Erzählkunst des Autors begründet.

Der griff auch die alte Geschichte vom Aufstieg des Orpheus und der Eurydike aus dem Hades ins Leben auf, gab ihm aber eine interessante Variante: Nicht er drehte sich verbotener Weise um, sondern sie war es, die nicht sagen und zum Ausdruck bringen konnte, dass er sie festhalten solle, sie träumte nur, ihn dazu auffordern zu können. Nachdem der Vater ihr endgültig verbot, Christoph nicht mehr wieder zu sehen, fand der „Schrei keinen Weg aus ihr heraus“. Er blieb am Leben, sie musste in den Hades, nicht zurück-, sondern vorausgehen.

Wie oft bei Lesungen aus einem Roman blieben unvermeidliche Lücken. Vom Tod Anjas erfuhren die Zuhörer nichts Näheres und auch nicht, ob Christoph, entsprechend dem Mythos, schließlich tatsächlich oder nur metaphorisch von Mänaden zerrissen wird.

Dennoch ausgiebiger Beifall am Ende des Abends für dieses ambitionierte und sprachlich überzeugende Romanprojekt.

Abendbericht: Ulrich Schäfer-Newiger
Fotos: Franz Westner