Rausch – Abendbericht vom 20. September 2024

Alle acht Wochen ist Themenabend im MLb und diesmal hieß das Motto – passend zum Wiesnanstich – “Rausch”. Vier Autoren und eine Autorin meldeten sich zum Lesen. Als erster betrat Gerhard Häusler mit einem Kurzprosatext “Der Himmel hängt voller Geigen” die Bühne. Weit entfernt von Wiener Schmacht zog der Autor, dionysisch intonierend, das Publikum in ein völlig außer Kontrolle geratenes Geigenkonzert, wo “Maßkrüge auf blutende Schädel krachten” etc. Das Publikum, ob der Katastrophenschilderung und des teils schlecht verständlichen Vortrags zunächst etwas irritiert, lobte nach einer zweiten Lesung aber die gelungene Analogie einer desaströsen Gesellschaft.

Darauf folgend las Wolfram Hirche eine “Sechs Minuten”-Szene aus seinem Buch Männerherzen. Ein Paar von offenbar erst kurzer Bekanntschaft reist mit dem Schlafwagen von München Richtung Roma Termini. Die Begeisterung des Ich-Erzählers schwindet allerdings schon kurz nach Wörgl, als seine Begleiterin von Bier enthemmt und angeregt, laut in ihr Handy kreischend, offenbar mit einem italienischen Lover schäkert. Schluss mit sole mio, Ende der Reise am nächtlichen Tiroler Bahnsteig. Männerherzen sind ja so zerbrechlich.

Günter Mitschke trug anschließend zwei kurze Gedichte vor: “Shortlist” der Räusche von A wie Arbeitsrausch bis V wie Vollrausch sowie “Ballermann sucht Ballerfrau”.

In mehreren bairischen Dialekttexten ließ der nächste Autor Ludwig Brandl ein liebenswertes, aber leider vergangenes München wiederaufleben. Zum Beispiel in der Geschichte von einem, der zum ”Glühweindringa” Richtung Christkindlmarkt aufbrach, aber davor schon im Andechser, Franziskaner und Ratskeller versumpfte. Oder im benglischen (bairisch-englischen) Langgedicht “Welcome to Bavaria” mit Versen wie “You have trouble with your baby, a beer may help you – may be”. An den durchaus kurzweiligen Texten wurden der Spannungsbogen und die Originalität der Reime gelobt, das Bayernbild jedoch sei nicht mehr zeitgemäß und auch der Abgrund des Rausches fehle.

Magisch-realistisch wurde es nach der Pause mit einer Geschichte von Petra Lang, in der es um ein zwölfjähriges Mädchen geht, deren großer Bruder aus Mexiko zu Besuch kommt und ihr ein schönes, groß geblümtes Kleid im Stil der Todesikone Calavera Catrina mitbringt. Der wunderbare, rauschhafte Abend am Gärtnerplatz endet mit einem tragischen Unfall. Der Bruder verliert die Kontrolle über das Motorrad, wodurch seine Schwester vom Sozius mitten in das Blumenrabatt des Gärtnerplatzes geschleudert wird und dort tödlich verletzt in ihrem Blumenkleid liegen bleibt. Ab dem Moment wechselt die Erzählhaltung des Mädchens nach “ganz oben”, von wo aus sie weiter die Szenerie beschreibt – ohne Pathos und Schrecken, so fantastisch-skurril wie der mexikanische Totenkult am ‘Dìa de los Muertos’.

Bericht und Foto: Simone Kayser