Eine Forderung stellen die 30 jungen Autorinnen des Buches FLEXEN – Flâneusen* schreiben Städte: Die Flâneuse soll wahrgenommen werden! Und schon stellt das Autokorrekturprogramm auf stur, das Wort gibt es nicht, nur ihn: den Flaneur. Der bewährte Topos des Flaneurs ist in der Literatur weitgehend männlich besetzt.
Dagegen haben die 30 Autorinnen angeschrieben.
Zur Präsentation für das im Verbrecher Verlag 2019 erschienene Buch war die Autorin Mia Göhring zu Gast, eine der Mitherausgeberinnen. Das Thema reizte das Publikum bereits beim Vorwort zu einer lebendigen Diskussion. Denn dieses ist der erste literarische Text des Buches: Die Flâneuse spricht, stellt sich vor und beklagt ihre Lage: „Wenn ich mich in Städten bewege, heißt das: Aufpassen. Oder es heißt: Gesehen werden. Oder: Vollkommen unsichtbar sein.“
Verfasst von den vier Herausgeberinnen setzt es einen Akzent, der seine Wirkung nicht verfehlte, und unmittelbar zeigte sich, wie die anwesenden Frauen durchaus das Anliegen verstehen konnten, da alle die Erfahrung kennen, nicht immer und überall, auch nicht in westlichen Großstädten, unbehelligt und neutral die Rolle der Flâneuse einnehmen zu können. Das bürgerliche Anstandsdenken lässt noch grüßen.
Wogegen die Herren im Publikum die Sache kritisch und kontrovers hinterfragten.
Mia Göhring stellte die überarbeitete und erweiterte Passage aus ihrem eigenen Buchprojekt vor, aus dem ihr Text im vorgestellten Band stammt.
Martha, auf der Suche nach Identität, legte ihren ersten Vornamen ab, lebt mit Ida, die den Zeugen Jehovas den Rücken kehrte. Die fiktive Stadt strotzt vor Müll. Das Erkunden von Idas früheren Wohnviertel paart sich mit Marthas Gedanken, die als ein geistiges Flanieren wirken. Das Eintauchen in ein Quartier der besseren Leute, frei von Unrat, wurde als besonders gelungen betrachtet.
Das Publikum gab der Autorin Feedback zur Wirkung der Textpassagen mit.
Nach der Pause las sie Gedichte von den Autorinnen Anna Hetzer, Ronya Othmann und Andra Schwarz, die zum Teil durch ungewöhnliche und dichte Sprachbilder frappierten.
Zum Abschluss gab es einen Abstecher zum Nachwort, das ein Interview mit der amerikanischen Autorin Laurien Elkin ist, die mit ihrem 2018 auf Deutsch erschienenem Buch „Flâneuse: Frauen erobern die Stadt“ eine Vorreiterin des Themas ist.
Einig waren sich alle, dass dies ein ambitioniertes, gutes Buch ist, alle mitgebrachten Exemplare wurden verkauft und lange Gesichter gab es bei denen, die keines mehr erwerben konnten. Gott sei Dank gibt es den Buchhandel, zu dem man ganz stilecht, ob Frau, ob Mann, flanieren kann.
Zudem ist der Verbrecher Verlag an diesem Wochenende auf dem Markt der unabhängigen Verlage vertreten, „Andere Bücher braucht das Land“, gerne solche wie dieses!
Bericht von Bea Cavallo