Aus einer für den 27.03.2020 geplanten Lesung eines Essays zum Thema Ernst Rowohlt und Expressionismus ist am 9.10.2020 eine über Kurt Pinthus geworden – dem Coronavirus sei’s geklagt. Jörg Schön hat in seiner unnachahmlichen Art freisprechend ein Feierwerk gegen einen Lektor des Rowohlt Verlags – Kurt Pinthus – abgefeuert, wobei dieser selbstredend nicht gut wegkam. Das im Gegensatz zu seiner Sammlung jüngster Dichtung „Menschheitsdämmerung“ genannt, die allein in den ersten 3 Jahren eine Auflage von 20.000 Exemplaren erreichte.
Zweifellos gierten die jungen Menschen damals (1919) nach Neuem, das sich u.a. auch in der Verachtung des Bürgertums der Kaiserzeit äußerte und dabei da und dort die Sprache neu erfand bzw. verhurte, wie Jörg Schön so schön sagte und dabei vielleicht die Aussagen der Literaturkoryphäen von damals wiedergab. Pinthus war beinahe mit allen Nihilisten und Expressionisten der Zeit bekannt, kein Wunder also, dass in jener Anthologie, die insgesamt 250 Gedichte enthielt, Dichter wie Gottfried Benn, Theodor Däubler, Albert Ehrenstein, Georg Trakl, Franz Werfel und, als einzige Frau unter 22 Männern, „Else“ Lasker-Schüler versammelt waren.
In der anschließenden Diskussion wurde versucht, uns die Zeit der Räterepublik (wieder) vor die Augen zu führen, wobei Jörg Schön die Frage stellte: Kann denn eine Dichtung anders als chaotisch sein wie die Zeit, in der sie entstand? Konnten Dichter die sozialen Missstände, die die Industrialisierung und der Krieg brachten, ignorieren? War die Entwicklung zum Ich-Beschau nicht eine zwangsläufige, um so die Apokalypse des Abendlandes abzuwenden oder zumindest zu verdrängen?
Die meisten Protagonisten des literarischen Expressionismus entstammen bürgerlichen, d.h. klassisch gebildeten Schichten, was sich später bei der im Wesentlichen von Studenten getragenen 68-Revolution wiederholen sollte. Das ist nicht verwunderlich, denn um einer Revolution zu machen, muss man Zeit haben, sprich sich nicht den ganzen Tag in der Fabrik oder auf dem Feld abplagen zu müssen, um die eigene Existenz zu sichern. Hier trifft der Spruch Karl Marx`: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Diese und andere Fragen wurden natürlich kontrovers diskutiert. Am Rande auch die Frage, ob Bohème ein Zustand der Freiheit oder des (materiellen) Nichts sei. In diesem Sinn endete ein vergnüglicher Abend, vorbereitet und dargereicht von einem Dichter, der akribisch den Höhen und Dellen einer literarischen Richtung nachspürte, die mit dem Aufkommen des Faschismus ihr jähes Ende fand.
Wir danken Jörg Schön für diesen gesprochenen Essay, der gegen Ende der Veranstaltung in einer allgemeinen Debatte mündete. Auch das ist übrigens ein Merkmal des Münchner Literaturbüros: Man weiß vorher nie, was ein freitags Leseabend bringen wird.
Bericht von Dion von Eleusis