Der Abend bestätigte wieder einmal die Erfahrung, dass man vorher nie weiß, was eine Freitagslesung für Überraschungen bereithält. So gab es diesmal eine unerwartete Premiere:
In der Pause waren, soweit sich der Rezensent erinnert: erstmals (!), alle Zuhörer gegangen und die Lesung wurde nicht mehr weitergeführt.
Zuvor hatte der Autor mit dem bürgerlichem Namen Viktor Malek, der an diesem Abend unter seinem Künstlernamen ‚Frodo Marks‘ auftrat, vor sich auf dem Tisch einen etwa faustgroßen, metallenen Totenkopf postiert, eine kleine Kerze angezündet und unmittelbar vor Beginn der eigentlichen Lesung seiner Prosa kurz, z.T. sphärisch-rhythmischer Musik aus einem kleinen Kasten aufspielen lassen. Vorher hatte er noch erklärt, sein Schreiben sei Fortsetzung seines bisherigen Malens, man werde Landschaften, Abstraktes, das Verhältnis Männlich-Weiblich, auch Esoterisches hören. Es ginge ihm in seinen vorzutragenden Texten, die aus einem Roman stammten, um Liebe in Zeiten der Krise.
Es folgten, nach einem Prolog in Gestalt eines längeren Zitates eines französischen Psychiaters zum Thema Liebe, mehrere Prosaskizzen, welche der Autor hintereinander vorlas, so dass sie wirkten, als sollten sie einen zusammenhängenden Text darstellen. Diese als „Erster Teil“ eines Romans bezeichneten Texte handelten von einer nicht näher beschriebenen, nackten Frau, in die der Erzähler verliebt war, von lautlosem Donner, der einschlug, von Wolkenbildern am Himmel, vom Ringen nach Worten, die Krise, die schon zu spüren war, weder Frau noch Krise wurden zunächst näher gekennzeichnet. Es erschien einmal ein „Rudel Engel“, glücklicherweise weiblich und aus Fleisch und Blut; eine musste in die Büsche pinkeln. Die Verliebten konnten beide nicht sprechen, es fehlten ihnen die Worte, Worte würden ohnehin alles zerstören, urteilte der Erzähler. Liebe habe keine Zeit, keinen Schmerz, kein Verlangen, erfuhren die Zuhörer. Und: Masken schützten vor zu viel Gesicht. Doch gleichzeitig war das Gefühl nicht wegzudenken, in einer Diktatur zu leben, das Virus sei der König, dem alle sich unterwerfen. Aber niemand konnte ihn sehen, wusste, ob er überhaupt existierte. Angesichts dieser Umstände tauchte der Erzähler lieber in Naturbetrachtungen ein, die Natur war sein Zuhause, mit den Raben fühlte er sich verwandt, u.ä.
Die Texte erwiesen sich als ein solides, keinem erkennbaren dramaturgischen Plan gehorchenden Gemisch von grenzenlos subjektiv-politischer Kultur- und Gesellschaftskritik, verbunden mit märchenhaft-unwirklich anmutenden Szenen. Eine rechte Diskussion über diesen „ersten Teil“ kam nicht zustande. Kritisiert wurde, dass der Autor die verschiedenen Geschichten oder Episoden zusammenhängend gelesen habe, von einer zur anderen springe, ohne zwischen ihnen eine Pause gemacht zu haben. Das aber hätte einem besseren Verständnis gedient.
Der zweite Teil der vorgelesenen Texte mit dem Titel „Sie“ enthielt Erzählungen über das Radeln am Rande der Stadt, während dem der Erzähler den Streit eines Ehepaares mitbekommt, an „Sie“ denkt, dann an einen Fluss, der Hoffnung hieß, an das Ufer des Meeres, bevölkert mit „zärtlichen Menschen“, gefolgt von nun autobiographischen Skizzen, die vom frühen Tod des Vaters, der guten Mutter, die in den Kriegswirren haarscharf dem Tode entronnen war, handelten. Dass die „Sie“ in seinen Erzählungen keinen Namen hatte, begründete der Autor mit der Überzeugung, dass wenn man „etwas“ benenne, es sogleich verfliege. Das gelte auch für Menschen. Die beiden letzten Prosaskizzen handelten von einer kleinen Indianerin und von Amor, der eine Schwimmweste trug.
Eine Diskussion über diese Texte kam nicht auf. Es folgte die Pause und eben dann das Ende der Lesung.
Bericht von Ulrich Schäfer-Newiger