Gute bis sehr gute Texte mit einem würdigen Sieger.
Ca. 90 Zuschauer haben der Finallesung zum Haidhauser Werkstattpreis beigewohnt und am Ende durch ihre Stimmabgaben einen würdigen Sieger bestimmt: Helmut Michael Schmid.
Er las als erster, was normalerweise kein Vorteil ist, aber seine Geschichte über einen Papagei, der zuvor wohl zu lange bei einem Psychoanalytiker gelebt hatte, um sich noch an eine neue Umgebung zu gewöhnen, hat das Publikum gleich gefangen. Kurz gesagt: Der Papagei zwang seinen neuen Besitzer, sich zu Hause ebenfalls auf die Couch zu legen und so tun als wäre er ein Patient. Erst dann kam ein von Anfang an erhofftes „Gespräch“ zustande.
Die Geschichte war gespickt mit Anspielungen auf menschlichen Denkweisen und kleine Schwächen: Hier sei nur die eine Frage erwähnt, ob der erwähnte Psychoanalytiker nun ein Freudianer oder Jungianer war, um deutlich zu machen, dass es eben nicht nur um simple Tier-Mensch-Geschichte ging, was in der Tat zu wenig wäre, um am Ende als Sieger aus diesem Wettbewerb hervorzugehen.
Als zweite las Veronique Dehimi.
Gedichte, die vielen Zuschauern das Lachen, das sie zuvor dem späteren Sieg-Text spendeten, im Hals stecken blieb. Es war ein Kontrastprogramm par excellence, das jedoch der Autorin nur in der deutschen Sprache gelingt, denn in den französischen Gedichten ist sie – laut eigener Auskunft – nicht so düster. Es ehrte das Publikum, dass es sich davon nicht sehr beeindrucken ließ, denn es wählte Veronique Dehimi an den vierten Platz.
Slata Roschal hatte es anschließend schwer, das Publikum auf ihre Gedichte bzw. Texte einzustimmen, die in präzisen Situationsbeschreibungen über die Begegnung der Erzählerin als Dolmetscherin mit Flüchtlingen über die Unmöglichkeit von Traumata-Therapien schrieb, weil es vor allem im Gefühlsbereich keine genauen Übersetzungen gibt, sondern nur umschreibende. Sie hat damit die Grenzen sprachlicher Verständigung anschaulich dargestellt, die schon zwischen zwei gleichen Muttersprachlern erheblich sein können, und die mitverantwortlich dafür sind, dass Therapien oft scheitern.
Als letzter vor der Pause las Hermann Stuke sein Gedicht mit dem Titel „Kaspar Hausers letzte Gedanken“. In der stilistisch an die Zeit Hausers angelehnten Lyrikform – z.B. „Den Durchgang wagte ich bisher noch nie“ – beeindruckte sehr, allerdings war das wohl zu wenig: Das Publikum erwartete anhand des Titels mehr „Kaspar Hauser-Inhalt“, als der Autor es lieferte bzw. liefern wollte, denn seine Intention lag mehr in der Frage des Aus- und Aufbrechen und des sich Aufraffens zu letzten, befreienden Entscheidungen.
Nach der Pause las Thomas Wagner seine feine und liebevolle Geschichte über einen Jungen auf einem Bauernhof in den 1950er-Jahren, der die Welt um ihn herum mit ganz anderen Augen sieht als Erwachsene, woraus er mit – natürlich – ganz eigener Logik ins Werk eben dieser Erwachsenen pfuscht.
Jeder hat halt seine eigene Wahrheit, und keine ist „besser“ als andere. Das ist sicher eine nicht ganz neue Erkenntnis, die man aus dieser Geschichte ziehen könnte, wenn man unvoreingenommen ist und nicht nur die eigenen Erfahrungen gelten lässt.
Anschließend ließ uns Hartwig Nissen in die Geschichte eines Dorfes eintauchen, in der es um alte unbeglichene Rechnungen aus der Nazizeit ging. Er brachte uns formvollendet das norddeutsche Kolorit nahe, in dem er uns in kurzen Dialogszenen das dort Typische richtig erleben ließ und nicht nur behauptete. Das ist ihm – nicht zuletzt aufgrund seiner authentischen Sprache – sehr gut gelungen.
Etwas Neues brachte uns Marc Richter mit seinen unkonventionellen Gedichten. Seine Beobachtungsgabe ist nicht nur enorm, er brachte sie auch gekonnt aufs Papier, wenn auch dieses sehr schmal schien. Aber es passte trotzdem alles drauf, der frische Wind daraus tat auch dem Publikum gut, das sich bis dato eher nicht anstrengen musste, um alles zu verstehen.
Zuletzt las Klaus Schuster eine Geschichte vor, in der es um Wiedergeburt des gleichbleibenden Ichs als Krähe ging, die gemütlich auf einem Ast sitzend das eigene Begräbnis betrachtet und dabei – wie könnte das anders sein – über sein Leben sinniert. Ganz nebenbei erfährt er durch eine andere Krähe, dass sein Tod kein Zufall war, sondern dem Begleichen einer alten Rechnung geschuldet. Nichts geschieht zufällig, könnte man meinen, aber das gilt nur in der Literatur.
Im richtigen Leben gilt aber das Weiter-Immer-Weiter des Oliver Kahn, der es wahrscheinlich zur gleichen Zeit in der Allianz-Arena zu tun hatte. Man weiß nicht, ob er ein Faible für Literatur hat, d.h. ob er statt dort lieber in Carl-Amery-Saal gewesen wäre, als das spannende Auszählen der Stimmen begann, aus dem, wie schon erwähnt, Helmut Michael Schmid als Sieger hervorging, vor Klaus Schuster und Marc Richter.
Bericht von Dion von Eleusis