Die zweite virtuelle Lesung im Jahre 2 der Pandemie war wieder sehr gut besucht (zeitweilig bis zu zwanzig Teilnehmer). Und es wurde lange gut und diszipliniert diskutiert. Breiten Anlass dazu gaben die Gedichte von Stefan Metzger. Er las, wie angekündigt, aus seinen beiden Gedichtbänden „Wolkenreich Träumen – Irdisch Reisen“ und „Sturmtief- Politische Gedichte über vier Jahrzehnte“ eine Auswahl von fünfzehn Texten. Sie wurden jeweils zweimal gelesen und beim zweiten Mal eingeblendet, so dass jeder Teilnehmer sie auf seinem Bildschirm mitlesen konnte. Diese technische Möglichkeit war für die Diskussion von unschätzbarem Vorteil.
Schon nach der Lesung der ersten fünf Texte entspann sich eine rege Auseinandersetzung über zum Teil grundsätzliche Fragen. Handelte es sich überhaupt um Gedichte und nicht nur um bloße, sachliche Mitteilungstexte? Mehrfach im Verlauf des Abends war dies ein Thema. Der Autor meinte auf eine entsprechende Frage, für ihn seien Gedichte verdichtete, dichte Texte, im Gegensatz zu lockeren, langen, ausschweifenden Prosatexten. Seine Texte erfüllten diesen an Gedichte zu stellenden Anspruch der Dichte.
Im Publikum blieben Zweifel: Angebliche Plattheiten wurden moniert, vor allem aber zum Teil unverständliche oder schiefe Bilder und Formulierungen („umsatzlose Imbissbude“, „blecherne Lieblingskinder“ für Autos,). Einigen Zuhörern fehlte einem lyrischen Text doch eigentlich innewohnende Transzendenz, die ‚zweite Ebene‘, hier hingegen bliebe alles an der Oberfläche. Metaphorik und Allegorien, wiedererkennbare Versmaße wurden vermisst. Gefunden wurden aber auch annehmbare oder als gut bewertete Bilder (‚glitzernde Seehaut‘, ‚Schlucke bitteren Tees überdauern Stunden‘).
Die vom Autor ausdrücklich als ‚politisch‘ deklarierten Texte erfuhren die gleichen Bedenken. Insbesondere wurde die bloße Wiedergabe allgemein bekannter Sachverhalte kritisiert. Positiv wurde vermerkt, dass es dem Autor hier gelungen sei, eine differenzierte Haltung einzunehmen und in Einzelfällen jedenfalls auch Widersprüche in Haltung und Handeln von Protest- und Widerstandsgruppen (z.B. im Hambacher Forst) aufzuzeigen.
Insgesamt ähnelte die Lesung teilweise einem kleinen Seminar über die Grundzüge und Voraussetzungen lyrischen Schreibens und Sprechens anhand ausgewählter Beispiele – und war somit angemessen gelungen.
Abendbericht von Uli Schäfer-Newiger