Die Stimme – Abendbericht vom 9. Mai 2025

Fehlt sie, ist man sprachlos. Man kann sie einfach verlieren. Nicht mehr sprechen. „Zuerst ist die Stimme, dann der Mensch.“ schreibt der Autor, Künstler und Lehrer Andreas Wiehl. In Tagebuchform schildert er den Verlust und das Wiedererlangen seiner Stimme. Schmerzvoll, verzweifelt, froh. „Aufwachen, keine Übelkeit, keine Schmerzen. Magensonde durch Nase, angenäht, Transfusionsnadel linke Hand in Vene“. Nach einigen Tagen dann der komplette Verlust der Stimme „Jetzt hoffe ich doch ein bisschen, dass mir das Weinen meine Stimme zurückgeben möge. Ich darf weinen, das Hoffen ist nicht so wichtig.“ Zenker-Divertikel-OP. Dazwischen immer wieder die wohltuende Abwesenheit von Aggression in diesem so menschlichen „Reparaturbetrieb“ Krankenhaus. Aber die Stimme bleibt weg. Schön die Parabel vom Vogel – beim Flug des Patienten in den Urlaub – dem alles gezeigt wird, dessen Flügel aber gefaltet bleiben. „Alle Sinne offen, die Augen sehen klar, die Federn bereit, die Flügel weit, alles da, nur der Aufbruch… – wohin?“. Wo keine Luft ist, konnten niemals Flügel wachsen. Mitteilung ohne Stimme ist schwer. Sprache ist Mitteilung. „So also schreibe ich mit geöffnetem Mund.“ Andreas Wiehl hat seine Krankenakte, ohne Zorn und Schuldzuweisungen, eindringlich und liebevoll geschrieben. Seine Stimme hat er wieder. Anhaltender Applaus der Zuhörer im MLb.

Abendbericht: Beppo Rohrhofer
Foto: Simone Kayser