Der Titel der Veranstaltung ließ schon erahnen, worum es in den vier Geschichten ging, die Autor Wolfram Hirche vorbereitet hatte: Nicht alles ist, wie es scheint, obwohl alles so gewesen sein könnte – oder auch nicht.
Nachweihnachtliches bot die Glosse „Jesus Nights“, die natürlich nichts mit den „Jesus Nights“ verschiedener religiöser Organisationen zu tun hat, welche für das Heilige Jahr 2025 angeboten werden. Obwohl Angebot schon richtig ist: Denn das Scheitern als erstrebenswerte Geschäftsidee und die Unsterblichkeit als Neustart – diese Start-up-Idee ist genau nach Hirches Geschmack mit reichlich Ironie und Biss unterlegt.
Die zweite Geschichte „Die Hochzeit von Coventry“ greift zurück auf familiäre Erlebnisse um Tante Helena, genannt Tati. Nicht von der Schönheit wie die geraubte Helena aus Sparta – die gute Tati stammte aus Schlesien und war eher bäuerlicher Natur – schnappte sie sich nach dem Krieg (dem Zweiten) den guten Tom Miller aus Coventry. Der verhieß eine gute Partie zu sein, stammte er doch aus dem siegreichen England, und so war die Hochzeit in Coventry beschlossene Sache. Blöd nur, dass die Deutschen Coventry 1940 bombardiert hatten und auch die Sieger in Schutt und Asche lebten, sehr zum Verdruss der guten Tati. Ob wahr oder nicht wahr, es hieß, die gute Tati habe am Standesamt auf die Frage nach ihrem Einverständnis zur Hochzeit mit „No“ geantwortet, habe den guten Tom Miller Sieger sein lassen und sei heimgekehrt zu den Verlierern. Ob die Geschichte so stimmte, wurde in der Familie nie geklärt, wie auch, es war ja sonst niemand dabei. Dem Publikum gefiel die Geschichte, wenngleich die eine oder andere Frage auftauchte, ob nicht auch Tom Miller mit „No“ geantwortet haben könnte, was dann genauso wenig zu beweisen wäre wie Tatis „No“.
Die Hauptgeschichte des Abends war „Glückliche Spiele in braunen Gärten“ – eine Kindheit in einer Nazisiedlung des Münchner Vororts Lochham, wo nahebei nach 1945 noch die Bunkeranlagen der Dornierwerke zu „Abenteuern einluden“. Für die Kinder der Nachkriegszeit, ohne Wissen um den Krieg und dessen Tragödien, waren die pornoverschmierten Wände, die tiefen Gänge und Räume der Bunker fantastische Spielstätten. Gemeinsam mit Bernd, dem besten Freund des erzählenden Helden, ließen sich hier großartige Tage erleben. Überhaupt Bernd: Dessen Vater hatte am Waldrand günstig eine Villa erworben, mit nierenförmigem Swimmingpool, wer hatte das schon. Über die Vergangenheit sprach man nicht. Bernds Vater war – kurz vor Bernds Geburt – von Gis abgeholt und zu einer Haftstrafe verurteilt worden. So lernte Bernd seinen ihm unbekannten Vater zuerst aus den Briefen kennen, die dieser seiner Familie aus dem Gefängnis schrieb. Nach seiner Rückkehr zeigte sich der Vater als ein ruhiger, freundlicher Mann, der sich über die Spielkameraden seines Sohnes freute. Vom Krieg keine Spur. Außer vielleicht das Horst Wessel-Lied und die Wehrmachtssoldaten aus Zinn, bei denen es auch einen Adolf gab, der sogar seine rechte Hand heben konnte. Winnetou ertränkte den „Führer“ beim Spiel im Swimmingpool, was auch aus Sicht des Publikums nur gerecht war. Dass Bernds Familie eines Tages ohne Vorankündigung verschwunden war, ließ Spekulationen aufkommen. Was geschehen war? An der Uni treffen sich die beiden Jugendfreunde wieder, aber was dabei gesprochen wurde, spielte an dieser 2.179ten Lesung im MLB keine Rolle. Auch diese Geschichte fand viel Zuspruch, wobei für einige der weiblichen Zuhörerinnen das Spiel mit den Indianer- und Zinnfiguren zu langgezogen war, was einige der männlichen Zuhörer klar verneinten.
Als letzte Geschichte war „Im Zauberthal“ dran, die, wie der Titel schon erahnen lässt, ein wenig Anleihe nimmt am berühmten Zauberberg. Anstelle eines Lungensanatoriums befindet sich hier „am Aalsee“, nahe dem heutigen Wolfgangsee, eine psychosomatische Klinik, in der Ron, der Großcousin des Erzählers, untergebracht ist. Schon beim Einsteigen ins Auto erfährt man von Rons Eigenheiten. Am ganzen Körper weiß geschminkt, eine blutende Wunde am Knie, erklärt er, dass er im Streit den Koch, ja, angepisst habe! Als Strafe dafür, dass der Koch einem anderen Gast das Essen vor ihm serviert habe, wo der andere doch später gekommen sei. Eine Bergwanderung, so beschließen die beiden, würde beruhigen. Denn zur Sorge gibt es Anlass: Die Klinik könne Ron womöglich rauswerfen, hoffnungsloser Fall, schließlich sei er schon zum dritten Mal hier. Und so machen sie sich auf den Weg zur Hütte. Die allerdings ist geschlossen, Ruhetag, Montag. Was tun? Im Gras liegend, sehen sie der Sonnenfinsternis zu, bis Ron plötzlich meint, die Sache mit dem Koch, die habe er vielleicht nur … Aber das dachte der Erzähler sich schon.
„Im Zauberthal“ überzeugte durch die präzisen, kurzen Beschreibungen, die viele Bilder und Eindrücke assoziierte. Auch in dieser Geschichte blieb offen, was an der Geschichte mit dem Koch wahr oder erfunden war.
Im Gesamten darf gesagt werden, dass es dem Publikum nicht leicht fiel, bei den Texten tatsächliche Schwachstellen aufzugreifen. Ein gelungener Abend zum Thema „Alles Lug & Trug“.
Abendbericht: Franz Westner
Fotos: Hellmuth Lang