Begegnung mit dem Fremden in und außer uns – Abendbericht vom 27. Juni 2025

Am Freitag den 27. Juni 2025 trug die Autorin Franziska Hielscher einige Kapitel aus ihrem Romanprojekt „Von Pflanzen und Menschen“ vor, wobei zwei von Anke Lau vorgelesen wurden.

Die Biologiestudentin Suse, die eine Hausarbeit zum Thema „Auswirkungen invasiver Pflanzen auf die heimische Pflanzenwelt“ schreibt, begegnet in der Staatsbibliothek dem Studenten Bruno, der sich dort über eine alte Ausgabe des Koran beugt und sich dabei erinnert, wie sein iranischer Vater mit ihm in seiner Kindheit arabische Kalligraphie geübt hat. Während sich Suse Gedanken über seltsame Parallelen zwischen den Abgrenzungsbestrebungen gegen zugewanderte Pflanzen und Menschen macht, grübelt Bruno über seine gespaltene Identität als Muslim und Deutscher. Diese Zweifel begleiten ihn auch in seinem Studium der Islamwissenschaften. Ist die historisch-kritische Forschung dort wirklich eine freie aufklärerische Wissenschaft oder hindert der muslimische Glaube seine Vertreter, die wesentlichen Fragen zu stellen?

Geschildert wird sodann , wie Suse ihre Mutter besucht, die gerade im Garten arbeitet und radikal sämtliche Pflanzen herausreißt, die nicht heimischen Ursprungs sind, ob es der Sommerflieder ist, der – wie sie entsetzt ausruft – aus Asien stamme, oder der alte Rhododendron, der Suse schon durch ihren ganze Kindheit begleitet hat. Am Ende sieht der Garten leer und verwüstet aus. Die Mutter begründet ihr Handeln mit solcher Vehemenz, dass sich Suse fragt, ob sie sich womöglich einer Sekte angeschlossen hat. Aber auch in Brunos Familie stoßen sie auf Brüche. Als Bruno Suse seiner Mutter vorstellt, verhält die Ärztin sich Suse gegenüber reserviert bis ablehnend. Bruno reagiert irritiert und verunsichert und fragt sich, was mit seiner Mutter los ist. Im Gegensatz dazu ist Suses Mutter, die im nächsten Kapitel selbst zu Wort kommt, geradezu begeistert von Bruno, nicht zuletzt, weil er sie an ihre eigene Jugendliebe, den persischen Jungen Navid, erinnert.

Bruno entscheidet sich – etliche Kapitel werden übersprungen – , den vor vielen Jahren in den Iran zurückgegangenen Vater zu besuchen. Das Publikum erlebt mit, wie er in Teheran ankommt und seine große Familie dort kennenlernt. Es ist die Zeit der Demonstrationen für die Frauenrechte. Kusine Maryam überredet Bruno mit ihr und ihrer Freundin daran teilzunehmen. Bruno steht tausend Ängste aus.  Am Ende kommen sie heil davon und ob aus Erleichterung oder Verwirrung oder weil Suse sich seit Tagen nicht gemeldet hat: Bruno erliegt den Verführungskünsten von Yasmin, Maryams Freundin.

Das Publikum hob die sprachliche Gestaltung der Textausschnitte hervor, die sinnliche Beschreibung von Gegenständen und die alltagsnahen Dialoge. Kritisch wurde angemerkt, dass im Kapitel über die Koranforschung vereinzelt zu viel lexikalische Erklärungen aufscheinen. Manchem erschien die Passage über die Gartenaktion der Mutter stilistisch als nahezu satirisch aus dem übrigen herauszufallen. Andere Kapitel, vor allem der Abschnitt der in Teheran spielt, wurde dagegen als lebendig erzählt, spannend und kurzweilig gelobt.

Abendbericht: Rainer Kegel