Zunächst servierte Marion Hübinger eine runde Kurzgeschichte, in der die Ich-Erzählerin nach fünfjähriger, schroff beendeter Beziehung einen faszinierenden Fremdenführer in Südfrankreich anschwärmt, der sie durch seine schwere Sehbehinderung nicht abstößt sondern in den Bann zieht. Sein Wuschelhaar, der Charme und der „südlichen Teint“ verstärken die Verklärung .Der romantische Sonnenuntergang schließlich, auf den der Blinde Guide ja tragisch verzichten muss, war manchem im Publikum dann doch etwas zu dick aufgetragen.
Für Paul Holzreiter , den wienstämmigen altbekannten Matador des MLb war die sehr kurze Story vom Chamäleon, mit der er kurzfristig eingesprungen war, ein Glücksfall, denn sie brachte ihm Platz eins ein und damit die Nominierung zum Finale im April nächsten Jahres. Dass ein alter Freund sich plötzlich in ein Tier verwandelt, in einem sommerlichen Biergarten, dessen Kastanie uns „mit ihrem Schatten verwöhnt“, überraschte niemanden im Publikum. Man kennt das spätestens seit Kafka und viele schätzen auch Geschichten, in denen mal was anderes passiert, als die immer so quälende, nervende Realität – und finden wir nicht auch die besten Freunde manchmal etwas seltsam?
Ganz anders wandeln die Gestalten von Felix Gärner durch die Geschichte von „Joe“. Hier wurde mit der vielleicht literarisch ambitioniertesten Story des Abends emotionsloser Sex, das physikalische Funktionieren der Körper, die Entfremdung der Geschlechter vorgeführt – dem Publikum möglicherweise etwas zu harter Tobak. Manche Kritik fand dagegen, der Autor hätte den distanzierten Stil konsequenter durchhalten sollen. Michel Houellebecq winkte von weitem.
Schließlich bot Thomas Wagner eine amüsant-traurige Vater-Sohn – Geschichte. Der Sohn begleitet seinen Vater, einen Psychotherapeuten alter Schule in eine Arztpraxis, wo der senile Alte den Jungen und die anderen Wartenden mit lockeren Diagnosen aus dem Nähkästchen des Analytikers nervt. Interessanterweise deutete das Publikum die Story ganz anders als der Autor und zeigte diesem, wie sich Geschichten verselbständigen und – nun ja–ihrem Schöpfer beinahe davon laufen können.
Bericht von Walt Marflow