Die Qual der Wahl – Abendbericht vom Finale des Haidhauser Werkstattpreises am 5. Oktober 2024

Die Qual der Wahl erlebten die zahlreich erschienen Zuhörer beim Finale Haidhauser Werkstattpreises am 5. Oktober 2024 im “Projektor” im Gasteig HP8. Nicht nur der Siegertext, sondern auch jedenfalls nahezu alle weiteren Texte waren von hoher literarischer Qualität, so dass die Wahl des Siegers schwerfiel.

Den Anfang machte Paul Holzreiter. „Allmacht und kein Ende“ lautete der Titel der kuriosen Kurzgeschichte. Gott, der Allmächtige, schuf sich eine Kiste, einen Simulator, den er Universum nannte. Um das Ganze testen zu können, musste er in die Kiste, deren Deckel fest verschlossen werden konnte. Das Einschnappen der Schlösser wurde später als Urknall bekannt. Und weil Gott ja allmächtig ist und jederzeit die Kiste hätte verlassen können, schuf er sich noch einen Kumpan im roten Pelz mit zwei Hörnern, der ihn nicht aus der Kiste befreien würde, solange nicht das gesamte Programm durch war. Es ging um Macht und Allmacht und alles was so an philosophischen Fragen dazugehört.

Es folgte Jürgen Possat mit der Kurzgeschichte „John, die Zinkjungen und das Meer“. John und den Autor verbinden gemeinsame Studienjahre. Dann tritt John, nach dem Staatsexamen, mit Frau und Kindern 1979 überraschend einen Auslandsschuldienst in Kabul an. Den Autor erreicht dann im Lake die Nachricht, dass John und seine Familie in Afghanistan von Russen erschossen wurden. Tiefe Trauer, Rückblenden und Erinnerungen beherrschen die erschütternde Erzählung, deren Titel sich an den Dokumentarroman „Zinkjungen“ von Swetlana Alexijewitsch, der vom Afghanistankrieg der Sowjetunion handelt, anlehnt.

Tanja Wagner trug dann mit „Der brennende Baum“, zwei flüssig vorgetragene jugendlich frische Gedichte vor, eines über eine Überschwemmung, die die Stadt unter Wasser setzt und auch die Schule, zu der Protagonistin, weil sie vom Unterrichtsausfall wegen Hochwassers nichts mitbekommen hat, geht und wo dann am Ende des Walls ein Baum brennt, während im anderen Gedicht der Mörder die mächtige tote Hand fühlt.

Raimund Fellner erzählte in „Josephine Bagi“ von der Freundschaft des Erzählers zu der titelgebenden Protagonistin. Beide lernen sich in einer so genannten Reha-Disco als psychisch Kranke kennen und es entwickelt sich eine intensive aber platonischen Beziehung, nachdem der Erzähler die Protagonistin mit einer von ihm angebeteten aber für ihn wohl unerreichbaren Bea vergleicht und die Josefine wiederum noch an ihrem früheren Ehemann, von dem sie längst geschieden ist, emotional hängt.

Der Text „Sauerkirschen“ von Tania Rupel Tera handelte von zwei Schwestern, die sich wohl jahrelang nicht gesehen hatten und zufällig an einer Busstation völlig unvorbereitet wieder aufeinandertrafen. Dieser Plot war eingebettet in einen ganzen Strauß metaphorischer, das Ereignis intensivierender Formulierungen wie „Am Himmel hingen Wolken wie Faultiere“, „Das Unmögliche lohnt sich“, „Gespenster des ewigen Wachens bleiben wir“ dann gibt es noch einen Wolf, der während der anschließenden Busfahrt mit einem toten Tier im Maul neben dem Bus herlief. An einer Tankstelle kauft dann eine der Schwester ein Glas Sauerkirchen, das sofort gemeinsame Kindheitserinnerung evozierte, und das sie vielleicht deswegen prompt – wieder sehr symbolisch – fallen lässt.

Nach der Pause folgte Ulrich Braun mit der Kurzgeschichte “Die Witwe Erna Masuch”, diese führte sodann das Publikum in eine masurische Kleinstadt am 10. November 1938. Ein ABC-Schütze begibt sich auf seinen Schulweg, während zwei SA-Männer Jagd auf zwei jüdische Kinder machen, die in dem Hause der Witwe Zuflucht finden, wobei die Erna Masuch den noch sehr jungen SA-Männern deutlich ihre Meinung über ungehöriges Verhalten sagt, während der Protagonist auf seinem Schulweg auch an der ausgebrannten Synagoge und einem Geschäft mit eingeschlagenem Schaufenster vorbeikommt.

Danach präsentierte die Autorin Anke Lau ambitioniert, in Poetry-Slam-Manier ihr Stück „Leben 2.0“, das davon erzählt, wie es in der modernen Medizin so abläuft vom „Sie haben da was“ bis zum glücklichen Ende des „Friede, Freude, Eierstock“. Ernstes Thema – wortakrobatisch, punkig, lyrisch, ironisch, makaber, lebendig präsentiert und dabei auch tröstlich.

Steffen Nowak zählte dann mit „Die Luft anhalten“ von 100 auf Eins herunter. Atemberaubend. Menschenverachtendes Mobbing in seiner grausamsten Form unter Schülern. Nie so richtig beschrieben, manchmal etwas mehr an brutaler Realität, meist aber nur angedeutet. Die „Jäger“ jagen den Neuen und den Alten, der den Neuen beschützen will. Ausgestopfte Tiere im Biosaal, Landkartenhalter, bedrückende Räume, Stolpern, alte Toiletten. Kein Entkommen. Die Jäger schlagen zu. Öffnen die Gürtel ihrer Hosen. Spannung pur! „Ausatmen“. Dazu der passende Vortrag.

Als vorletzter Text die Kurzgeschichte „Lady Blue“ von Wolfram Hirche. Die dicht gewobene Geschichte führte von einer Jazzkneipe, in der der Protagonist eigentlich einige Gedichte vorlesen sollte, der Wirt aber nur Musiker auftreten ließ, darunter die Blues Lady, deren rauchige Stimme den Protagonisten an seine Mutter, eine gescheiterte Opernsängerin erinnert, in die Kindheit des Erzählers, dann auf die Straße, auf die sich der Protagonist und die Blues Lady gemeinsam begeben, zu den Nachstellungen Salieris gegen Mozart und Gedanken des Erzählers über den Einfluss seiner Existenz auf die Karriere der Mutter.

Mit drei sehr kurzen Geschichten, unter dem Titel “Episoden meines Lebens” beendete Peter Walcher den Reigen der Autorinnen und Autoren. Während in „Affäre mit meinem Drucker“ um den alltäglichen Kampf mit einem Laserdrucker, der genau das nicht macht, was er tun soll, erzählt wird, geht es bei der Story “Wie es wäre, einmal so richtig reich zu sein” um die Gedanken und Wunschbilder des Lotto spielenden Protagonisten, was er denn mit dem Jackpot machen würde, sollte er ihn gewinnen. In „Wir telefonieren“ führen zwei Arbeitskollegen im Ruhestand ein Telefongespräch, wobei keinem der beiden noch der Name des anderen einfällt, man sich aber noch gut an einen Fernsehshowmaster von vor Jahrzehnten erinnern kann.

In der folgenden Abstimmung wählte das Publikum Ulrich Braun zum Gewinner des 31. Haidhauser Werkstattpreises vor Peter Walcher und Tanja Wagner. Auf den weiteren Plätzen folgten Steffen Nowak, Anke Lau, Tania Rupel Tera, Wolfram Hirche, Paul Holzreiter, Raimund Fellner und Jürgen Possat.

Moderiert wurde der Abend von Beate Weinkauf, die das Publikum auch dazu bewegen konnte, über die Texte zu diskutieren.

Abendbericht: Rainer Kegel
Fotos: Franz Westner