Vielleicht wurde der Kosmonaut Wladimir Komarov anno 67 ja tatsächlich ins All geschossen, obwohl die Fallschirme von Sojus 2 von Anfang an defekt waren und er beim Sturz zurück in die Erdatmosphäre sterben musste. Die Siegerstory von Carlo Maximilian Engeländer konnte das als Menetekel offen lassen, berichtete aber umso intensiver über das turbulente Kommune-Leben von „Auguste“ und ihrem Freund Willy und dem Pendeln zwischen Halle und Köln. Obwohl der Autor wegen Überlänge der Geschichte extrem schnell las und nicht einmal in den geforderten 10 Minuten fertig wurde, wählte ihn das Publikum dieser Zoom-Werkstattsitzung auf Platz eins. Sprachgewalt, virtuose Szenenwechsel und knappe Dialoge kamen gut an!
Das Münchner Literaturbüro hatte erstmals die Vorauswahl zum 28. Haidhauser Werkstattpreis per Zoom-Konferenz veranstaltet, weil ein reales Zusammentreffen wegen der Corona-Maßnahmen nicht möglich war. Die beiden ersten Plätze sollten sich für das Finale im Herbst qualifizieren. Den zweiten Platz gewann Christian Engel mit hauchdünnem Vorsprung vor Beate Klepper. Seine Story, ein Auszug aus dem Romanprojekt „Sagen“, erzählt die Trennung von Mutters Küssen nach ausschweifendem Abiturfest und deutet den Umzug nach Frankfurt an, in das mit Spannung erwartete Studentenleben, das alte Elend des Schülerdaseins äonenweit hinter sich lassend.
Beate Klepper schilderte mit ihrer Jungmädchen-Story aus der Ich-Perspektive einer jungen Schülerin vom Lande die Enttäuschung über einen Freundschaftsbruch. Stefanie, die schon die Pille nahm und einen Freund hatte, hielt es nicht für nötig, das Treffen mit der Freundin einzuhalten. Konnte sich nicht mal mehr an die Vereinbarung erinnern: sehr alltäglich, traurig, und sehr eindringlich-überzeugend gezeichnet.
Auch die anderen Storys dieses Abends waren originell und handelten von wichtigen Themen. So die reimreiche Fahrt der Dame Anapäst von Katharina Schweißguth in einem „Jam-Bus“, über „Reim-Kreisel“ nach Limerick. Oder Christine Eickenbooms kindliches Waldelfen-Theater, bei dem das Publikum nur monierte, dass die Autorin eine Mutter im Koma nicht so einfach im Nebenzimmer liegen lassen sollte. Die Szenen zwischen Schul-Theater, väterlicher Sorge und der Gefühlswelt der kleinen Schülerin waren durchaus überzeugend. Der Roman-Auszug aus einem Coaching-Leben, den Ulrike Parthen präsentierte, die Satire auf die seltsamen „Tipps“ von Selbstverwirklichungsgurus, traf einen kritischen Punkt der Coaching-Szene, in der sich Hunderte von absolut „perfekten Ratgebern“ ungezügelt tummeln können.
Man würde auch diese Autorinnen sicher gern einmal „analog“ in München erleben. Das Finale wird im September oder Oktober live stattfinden, wenn das Virus es zulässt!
Abendbericht von wolfram hirche