Wer glaubte, am 1. November würde nur den Toten und Heiligen gewürdigt, sah sich getäuscht. Auch für die Literatur war der 1. ein guter Abend. Ein volles Haus erwartete die Texte der sechs Glücklichen, die aus der Box ausgelost wurden. Gleich vorweg – es war für jeden etwas dabei, von der Kindergeschichte bis hin zur Shortstory mit amerikanischer Szenerie. Nur Gedichte wurden diesmal nicht gezogen. Prosa pur.
Den Beginn machte Stephan Priddy mit der Kurzgeschichte „Buck im Truck“ (oder „Buck mit Truck“?, die Unsicherheit ist der Klaue des Moderators geschuldet). Jim Bucks letzte Fahrt als Truckfahrer endet apokalyptisch. Eine Nuklearbombe jagt Dogde City in die Luft und lässt auch Bucks Truck und ihn nicht unverschont. Jim Buck reflektiert erst langsam, was wirklich passiert ist. Auch wenn dem Publikum nicht jedes Detail ganz korrekt erschien, gefielen die Beschreibung der amerikanischen Szenerie mit dem weiten offenen Land sowie Jims letzter Gedanken, die sich um die Familie und deren Zukunft drehten.
Mit dem Tod hatte auch Peter Heinrichs Geschichte „Wie Opa Otto den Tod überlistete“ zu tun. Eine Brandner-Kasper-Geschichte um den sturen Opa Otto, der dem Sensenmann partout nicht folgen will, lieber bleibt er in seinem warmen Bett liegen. Was tun? Zwei Engel sollen dem Tod auf Weisung Gottes helfen, aber der Dickschädel des Alten lässt auch diese hilflos erscheinen. Am Ende luchst Opa Otto dem Tod satte 20 Jahre ab, wobei er, wie er hintersinnig denkt, auch schon nach 19 Jahren sterben könnte. Dann hätte er dem Tod ein doppeltes Schnippchen geschlagen. Auch hier fand das Publikum die eine oder andere Anregung, wie z.B., dass die Anwesenheit der beiden Engel noch ausgeschmückt werden könnte. Aber dann, so der Autor, wäre die Geschichte länger als 10 Minuten geworden. Sei´s drum, Opa Otto hatte das Publikum zum Lachen gebracht.
Die dritte Geschichte „Happerg“ stammte von Michaela Thunemann. Kunstvoll verflochten erzählt die Autorin die Geschichte einer Protagonistin, die eine Fehlgeburt erleidet. „Der rote Fluss“ ist darin ebenso Motiv wie das „Wollknäuel“, das die Protagonistin in Gedanken zurückführt zu ihrer Großmutter in Happerg. Eine Hypnosetherapeutin soll helfen, das Traumata zu entwirren. Stellen Sie sich einen Sehnsuchtsort vor, sagt sie. Die Protagonistin findet diesen schließlich in Happerg und in der Erscheinung ihrer Großmutter. Auch wenn die Motive augenscheinlich nicht alle zusammenhingen, wie eine Zuhörerin anmerkte, gefiel die Geschichte durch ihre Komplexität sowie das langsame Zusammenfinden aus Erinnerung und Gegenwart.
Weiter ging es nach der Pause mit Paul Holzreiters „Keins von den Dingern“. Und das war es tatsächlich nicht, was da so groß und geformt wie eine Kartoffel am Himmel des bayerischen Voralpenlands stand. „Das Ende ist nah“, prophezeite ein Mann mit der Bibel, der die Reisenden am Bahnsteig der S-Bahn zu bekehren suchte. „Es schwebt“, erklärt der kleine Flori seiner Mutter – die das Ding nicht richtig sehen kann – Brille zu Hause vergessen! Dafür sehen es die Militärs in Fürstenfeldbruck auf ihren Radarschirmen. „Keins von den üblichen Dingern“, ist auch deren Urteil, und schicken Kampfflieger mit Urangeschossen. Der Mann mit der Bibel hat sich da schon längst aus dem Staub gemacht. Auch diese Geschichte gab die eine oder andere Anmerkung, wie jene, dass es doch ein UFO gewesen sei, anders als vom Erzähler benannt. Davon unbeeindruckt gefiel die schwebende Kartoffel dennoch.
Vom bayerischen Voralpenland führte uns Autor Patrick Erdmann mit seinem Romanprojekt „Der Vergebung nahe“ nach Edinburgh. Der Polizist „Killhay“ (der Autor möge mir verzeihen, wenn die Schreibweise das Namens falsch ist) erscheint bei Lukas und bittet ihn um die Beantwortung einiger Fragen. Lukas ist nicht überrascht. Er hatte es schon erwartet, wie auch der Polizist den Eindruck erweckt, als wüsste er mehr und dass er wüsste, dass auch der Befragte mehr weiß. Mit diesem „Mehr“-wissen auf beiden Seiten spielt der Autor, lässt Fragen ins Leere laufen (Wo ist Amanda? Wer ist sie?) und gleichzeitig Andeutungen aufkommen sowie Hinweise (Lukas war in einer Klinik in Deutschland), die jeweils dieses „mehr“ im Hintergrund spüren lassen. Dieses Spiel um das zu Erahnende, nicht Ausgesprochene stieß beim Publikum auf geteilte Zustimmung. Dagegen fanden Stil und Vortrag des Autors durchweg Lob.
Den Schlusspunkt setzt schließlich Günter Mitschke mit zwei kurzen Erzählungen: „Herausforderung“ und „Möchtegern“. „Herausforderung“ erzählte in kurzen knappen Sätzen den Umzug Opa Bemmels ins Seniorenheim, da ihm der dauernde Streit um das Fernsehprogramm zwischen seinem Sohn und seiner Schwiegertochter auf die Nerven geht. In seinem neuen Zuhause fühlt sich Opa Bemmel sofort wohl– bis (Ironie des Schicksals) eines Tages auch der Sohn ins Seniorenheim eingewiesen wird.
„Möchtegern“ nimmt sich dagegen der „Brenzelaffäre“ an. Was das ist? Kurz gesagt: Brenzel will nicht ganz so hoch hinaus, wie er sollte. Denn der gute Brenzel soll am Programm der Raumfähre Heureka teilnehmen. Aber vor dem Countdown weigert der sich. Heureka startet also ohne ihn, und der gute Brenzel grüßt von der Erde aus das Narrenschiff – wobei nicht ganz klar wird, welches Narrenschiff er wirklich meint. Man merkte, dass um diese Zeit das Publikum schon etwas diskussionsmüde war. Den Applaus holte sich Günter Mitschke dennoch verdientermaßen ab.
Die Stimmabgabe zu den sechs Prosatexten ergab ein recht eindeutiges Ergebnis: Peter Heinrichs und „Wie Opa Otto den Tod überlistete“ überzeugte an diesem Abend die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer. Wir gratulieren.
Abendbericht: Franz Westner
Foto: Jannette Hofmann