Die Autorin Nada Pomper hatte sehr viel mehr Gedichte zum Vortrag mitgebracht, als der Abend Zeit für sie und die Zuhörer hatte. So konnte sie nur einen Teil ihrer Arbeiten vorlesen; das Publikum hörte ihnen so gespannt zu, dass die Zeit auch ohne langwierige Diskussionen (kurzweilige gab es durchaus) wie im Flug verging.
Sie begann mit Gedichten, die sich unter dem Begriff ‚Erinnerungsbilder‘ zusammenfassen lassen: Es ging um die Kindheit in der Heimat an der Lonja, einem Nebenfluss der Save in Kroatien, eine Gegend, die auch ‚Posavina‘ heißt (Die Autorin erklärte diese geographischen Begriffe dem Publikum alle). Die Gedichte trugen Titel wie Die Sonne an der Lonja oder Als Kind in der Posavina oder Wo ist der Kinderschrei geblieben? Ein anderes hieß: Vor der Zeit auf der Flucht. Dessen erste Zeilen lauteten: Ich tauche die Feder ins heilige Wasser / um all meine Liebsten nicht zu vergessen: Die werden dann akribisch aufgelistet. Das Bild der Feder im heiligen Wasser wurde hernach in der Diskussion als eine Art Klammer für alle Erinnerungstexte der Autorin erkannt. In den genannten Gedichten fanden sich Formulierungen wie Die Sonne als orangeroter Spiegel, im Traum des Kindes wird sie zu einer riesengroßen Melone. Oder in dem Gedicht Wo sind sie geblieben: Die Zeit läuft uns weg wie ein Dieb. Im Gedicht über die Erinnerung an die Posavina bezeichnet sich die Erzählerin als Schneewittchen in die Asche gerutscht. In einigen Gedichten sind Bäume (Kastanien, Pappeln, Birnbaum) leicht dechiffrierbare Symbole einerseits für die Vergänglichkeit (Der Baum wurde gefällt, in mehrere Teile zersägt…) als auch für die Beständigkeit (Nur Großmutters Birnbaum trägt … Früchte voll Honig, / der Einsamkeit trotzend, wie verrückt. Oder, sehr schön: Die Pappelreihe in die Höhe gestrotzt). Diese leicht erkennbaren aber niemals unpassenden Symbole zeichnen die Texte der Autorin aus. Dabei verwendet sie oft Begriffe, Wörter und Wortfolgen, die unzeitgemäß, überholt oder verbraucht scheinen (heiliges Wasser, Himmelblau, Sommerflamme, Träne vom Paradies), gerade dadurch aber den Gedichten einen eigentümlich-fremd-vertrauten Reiz, ein Gefühl der Gewissheit über das Geschilderte vermittelten. Der Metaphern- und Symbolgebrauch erscheint dabei unbekümmert, ungekünstelt. In der Diskussion wurde diese leicht erscheinende Charakteristik ihrer Poesie mehrfach positiv hervorgehoben.
Auch die jüngere politische Geschichte Kroatiens fand Eingang in den Gedichten von Nada Pomper. Terror und Gewalt werden angeprangert z.B. im Gedicht Zur Jahrtausendwende oder An die Zeit, wo einerseits Napalmbrandmale oder Atombombe (im Mutterleib) auftauchten aber auch Wörter wie Sünde und Sühne, Gotteskrone, bis zum Blut, Wie Gnade vom Himmel, Sonne und Gott. Zuletzt überwogen (z.T. kritische) Texte, die sich in ähnlicher Sprachmanier (also: metaphernvoll) mit dem subjektiven Gegenwartsbewusstsein beschäftigten: Um 22 Uhr klingelt das Telefon, Pop-Art am Meer, Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben: Ich ruderte fort. Ununterbrochen, um mein Leben, hieß es dort.
Die Autorin trug alle ihre Texte sehr präzise, rhythmusbetont und auch pathetisch da, wo es angemessen schien, z.T. auf Wunsch zweimal vor. Am langen Ende dieses beeindruckenden Abends: interessiertes Bestaunen ihrer mitgebrachten Bücher und viel Applaus.
Abendbericht: Ulrich Schäfer-Newiger
Foto: Beppo Rohrhofer