Wahrnehmung und Erkenntnis – Bericht vom 28.1.2022

Angekündigt war diese Zoom – Lesung mit dem Autor Ulrich Schäfer-Newiger als Präsentation von Prosagedichten, die unter anderem die in der Pandemie zunehmenden paranoiden Wahrnehmungsmuster, auch der Natur, des dem stetigen Vereinzelungsprozess unterworfenen, verunsicherten Subjekts widerspiegeln und die dem immer intensiver werdenden Krisenbewusstsein der Gegenwart vielleicht eine mögliche Form geben könnten.

Diese Ankündigung erfüllte sich vielleicht nicht durchgängig, aber traf doch einen zentralen Aspekt der vorgetragenen Texte.

Der Autor begann mit zwei kurzen Texten unter der treffenden Überschrift „Erkenntnisse“, erkenntnisphilosophischen Betrachtungen wie: „Was ich sehe und nicht siehe ist reine Selbsttäuschung./Wie das Arrangement der Elementarteilchen, ein Standardmodell“.

Danach folgten mehrere Langtexte (Pergrinationes suburbanae, Apophänischer Spaziergang, Die alte Ziegelei) mit in eindrucksvollen Bildern erzählten Reminiszenzen und Eindrücken aus vor- oder besser gartenstädtischen Stadtquartieren mit hinter Thujenhecken verborgenen Vorgärten, von verfallenden Gutshöfen und Industrieruinen, wobei sich wie ein roter Faden die Frage nach Grenzen der Wahrnehmung und ihrer Deutung, also letztlich die Frage, ob die Welt das ist, was wir sehen, durch die Texte zog.

Noch existenzieller wurde das Verhältnis zwischen dem einzelnen, dem lyrischen ich und seiner Umwelt wie die Zerrissenheit des ich selbst angesprochen in den darauf folgenden Texten wie „Der heitere Dichter und „Ich bin ein Bewohner des Mondes“. In einer ebenso wort- wie bildgewaltigen Sprache gelingt dem Autor die Darstellung von Selbstillusion und Vereinzelung, verbunden mit unzähligen Anspielungen, die einen Bogen von Homer und Platon bis zur Quantenphysik schlagen.

Das Publikum lobte fast durchgehend die Arbeit des Autors, fand es aber zunehmend schwieriger, den Texten, auch wenn sie nicht nur mündlich vorgetragen, sondern auch als Text eingeblendet wurden, in ihrer Komplexität folgen zu können.

Abendbericht von Rainer Kegel