Brückentag und herrliches Frühsommerwetter – der ideale Zeitpunkt, um Reißaus zu nehmen von dem anstrengenden Stadtleben – oder doch ins Literaturbüro zu kommen. Tatsächlich lockte der offene Abend für den Haidhauser Werkstattpreis ausreichend Bewerberinnen und Bewerber in die Milchstraße und brachte nach einem sehr kurzweiligen Abend gleich zwei Sieger hervor.
Den Beginn machte Patrick Sommer, extra aus Landshut angereist, mit seiner Erzählung eines scheinbar geistig verwirrten Mannes, der durch Landshuts Straßen irrt, mit einer Frau – dem Abbild des/r Leibhaftigen – zusammenstößt, von einem Mann mit Mütze zum Stehenbleiben aufgefordert wird („Hoid, hoid, steh bleim!“), panisch weiter flieht, bis er ein Schild mit einer Bierwerbung sieht. Die Landshuter Zeitung schreibt am nächsten Tag, ein geistig verwirrter Mann habe die Frau mit einem Messer angegriffen. Der Text, so der Autor, ist Teil einer längeren Erzählung, brachte gleich viel Zustimmung und Gespräch auf den Weg und leitete den Abend wunderbar ein.
Ihm folge Petra Lang mit der Frage: „Wo ist Europa?“. Denn Europa ist verschwunden, nachdem Notre-Dame gebrannt hat und Paris wie geschlossen wirkt. Wo Europa ist? Die Protagonistin sucht sie auf den Hügeln in verschiedenen Städten, findet das alte Europa in China. Ein nachgebautes Europa überall in der Welt, selbst in Amerika, Las Vegas, was übrigens „Die Wiesen“ bedeutet. Endlich hört sie das Lachen, besser das Wiehern? Europas, denn Europa ist eine Araberstute! Und auch Notre-Dame strahlt wieder, zum Glück. In welche Kategorie die Autorin den Text einordnen würde, fragte das Publikum? Allegorie? Satire? Erzählung? Gleichgültig, die Geschichte war amüsant und bot ausreichend Interpretationsebenen zur Frage, was wir selbst in Europa sehen.
Den dritten Wettbewerbstext, bzw. -texte, las Günter Mitschke. Die vier kurzen Texte im Stakkato sowie ein abschließendes Kurzkürzest-Gedicht verlangten dem Publikum Konzentration ab, zauberten aber auch heiteres Schmunzeln auf die Gesichter. Die kunstvoll ineinander verwobenen Lang- und Schachtelsätze mit dem genussvoll hinausgezögerten Aha-jetzt-komme-ich-zum-Sinn-des-Satzes erzählten von Pia, der Barbiepuppe, die ein upgrade erhalten haben musste, von den Wienern, die dem Protagonisten zum Hals heraushängen, sodass er nach Frankfurt umzieht, um es mal mit diesen, den Frankfurtern, zu versuchen, vom 100% non-binären Verkäufer bis hin zum seit Jahrtausenden verharrenden Hochgebirge … und entließen das Publikum gut gelaunt in die Pause. Dabei verstand es Günter Mitschke, Geschichtliches kunstvoll in seinen Kurztexten unterzubringen, so in dem Wiener-Frankfurter-Text, der sich auf einen Serienmörder bezieht.
Nach der Pause las Paul Holzreiter die Geschichte „Keins von den Dingern“. Sonntag, Föhn, Seepromenade am Starnberger See, ein Weltuntergangsprophet – und der kleine Flori an der Hand seiner Mama auf dem Dampfer, als er das Ding am Himmel sieht, geformt wie eine Kartoffel. „Es ist kein Meteorit“, sagt er klug, „es schwebt“. Auch im Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck entdecken sie das Ding. „Nein Sepp, kein Ufo“, stellt der leitende Soldat fest, und „Ja Sepp, ich fürchte, dass ihr raus müsst.“ Als die Abfangjäger aufsteigen, packt der Weltuntergangsprophet schon seine Sachen. Aber – ein Schatten holt ihn ein. Die Geschichte gefiel durch dir knappen Sätze und dem Viel- und Ungesagten zwischen den Zeilen.
Den Abschluss bildete schließlich Véronique Dehimi mit zwei Langgedichten zum Thema „Meer“. „Antarktika“, vorbeidriftende Eisberge, die im dunklen Blau wurzeln, die Fahrt im Schiff, das im Eis stecken bleibt bis zum Sommer unserer Tage, Orcas, die um das Schiff kreisen, die See, die sich Rot färbt, Pinguine … Das Gedicht beeindruckte das Publikum und honorierte die Klage gegen die Ausbeutung des Meeres und den Umgang mit der Natur. Auch das zweite Gedicht „Meer“ griff dieses Thema auf („Ihr macht mich zu Geld …“, „Wer in mir schwimmt, läuft Gefahr, erlöst zu werden“) und fragt am Ende: „Ist es möglich, dass ihr wie die Lachse werdet?“
Die fünf Texte fanden allesamt guten Anklang beim Publikum und lieferten sich demgemäß ein knappes „Rennen“. Mit jeweils gleich vielen Punkten gewannen Véronique Dehimi mit „Meeresgedichten“ und Paul Holzreiter mit „Keins von den Dingern“.
Abendbericht: Franz Westner
Foto: Rainer Kegel