Alles ist Maske – Abendbericht vom 16. Februar 2024

Es war bemerkenswert, dass für den Themenabend ‚Masken‘ nur einer der fünf Vortragenden eine konkrete, greifbare Maske ausdrücklich zum Gegenstand seiner Texte gemacht hatte, nämlich Günther Mitschke in seinen beiden kurzen Prosastücken.

In Kontakte ging es um eine Anti Corona Party, in der Masken untersagt waren. Es taucht dann aber ein Fremder (auf Einladung des Sohnes des Hausherrn) mit Maske auf. Sie wird ihm vom Gesicht gerissen und zum Vorschein soll ein sehr bekanntes Gesicht (mit einem kleinen Schnauzbärtchen) eines Autors kommen, der durch seine Sammlung von Kurzgeschichten berühmt geworden war. Dass dies aber, wie der Autor nachher verriet, Edgar Allan Poe gewesen sein sollte, hatte niemand im Publikum erkannt, selbst der Moderator nicht, der zu Beginn den Abend unter das Motto eines Zitates von Poe gestellt hatte: Erstaunlich, dass der Mensch nur hinter seiner Maske ganz er selbst ist. In der Diskussion wurde die im Text schwache Bezugnahme zu diesem Autor dann auch kritisiert. In der zweiten Geschichte dieses Autors – Sound check – spielte eine Strumpfmaske, mit der dem Erzähler im Traum jemand erschien, eine nur ganz kurze, nebensächlich-untergeordnete Rolle. Ihre Funktion für die Geschichte blieb unklar.

Zuvor hatte Peter Asmodei in einer Erzählung noch ohne Titel, die er auch ausdrücklich als Entwurf betrachtete, von einem abgelegenen, abgehängten kleinen Dorf berichtet, in das die Elektrizität und eine Eisenbahnnebenstrecke gelegt wurde. Es erschienen in diesem Zusammenhang auch Alex und Alexa, der Mann wurde mit einer Flasche verglichen und die Frau mit deren Inhalt. Weitere Einzelheiten werden hier übergangen. Soweit überhaupt ein Maskenbezug vorhanden sei sollte, wurde dieser durch den am Ende unvermittelt stehenden Hinweis auf die Masken im venezianischen Karneval versucht, herzustellen. In der Diskussion, in der dieses Ende als „aufgesetzt“ gewertet wurde, erklärte der Autor, für ihn sei jede Struktur eine Maske, also auch Eisenbahnschienen oder Elektrizitätsleitungen, die über die Erde gelegt würden. Dieser weite, nicht wirklich abgrenzbare Maskenbegriff, fand im Publikum keine Mehrheit.

Nach der Pause las Raimund Fellner eine Traumgeschichte über Bea. Wer den Autor schon öfters gehört hat, weiß, wer Bea ist, oder in diesem Falle: war, denn sie soll zum Zeitpunkt des Traumes schon tot sein, nämlich die Geliebte des Erzählers. Im Traum wandelt sie durch ein Kaufhaus, in welchem der Erzähler sie zufällig – von hinten – sieht und ihr folgt. Seine Versuche, eine Zuwendung ihres Gesichts zu veranlassen, sind nicht erfolgreich. Er sieht in ihr eine ungeschützte Erscheinung, eine hübsche Schönheit, nicht lebensvertraut, professionell deformiert. Bea hat – im Traum – nämlich eine Arbeit, der sie regelmäßig nachgeht. Der Erzähler wacht nach einiger Zeit– ohne auf die Einzelheiten an dieser Stelle einzugehen – auf und neben ihm liegt Doris, sein Fegefeuerliebchen, von der Bea nichts wissen durfte. Selbst in der Diskussion über den Text wurde nicht ganz klar, worin in ihm ein Maskenbezug verborgen lag. Möglicherweise meinte der Autor die durch ihre berufliche Tätigkeit hervorgerufene, deformierte, nicht natürlich erscheinende, von ihm näher beschriebene Erscheinung der Bea, ihr verändertes Verhalten.

Auch in Hans Karl Fischers Erzählung Der Dschaius schläft seinen Rausch aus erscheint eine Maskenhaftigkeit nicht direkt, sondern musste hineininterpretiert werden. Es handelte sich um die Erinnerung an die Internatszeit des Autors und an seinen Kumpel Dschaius (so die phonetische Erinnerung des Berichterstatters an diesen Namen), der ein ständig-starker Trinker war, was der Erzähler damals aber nicht reflektierte, sondern erst jetzt, nachdem ein anderer ihn darauf hingewiesen hat. Auch hier vermochten die einzelnen Beschreibungen der Räusche und ihre erinnerte Wahrnehmung durch den Erzähler nicht zu offenbaren, worin der Maskenbezug liegen sollte. Mutmaßlich sollte die Trunksucht als Maske dieses früheren Internatsfreundes gelten.

Zuletzt trug Tanja Wagner gewohnt eindrucksvoll ein Gedicht mit dem Titel Ich und Du. Eine moderne Grenzüberschreitung vor. Darin sprach das lyrische Ich ein Du an (nur gedacht, nicht tatsächlich) und erzählte mit dem ausdrücklichen Gestus der Überlegenheit und sehr ausführlich, was es alles von diesem Du weiß und zwar alleine aus den Informationen, die dieses Du im Netz hinterlassen hat und die Erzählerin auf ihrem Handy sammelt und speichert. Du weißt nicht, was ich von dir will, äußert die Erzählerin und betont, am Ende Gnade gegenüber dem Du walten lassen zu können, indem es die erworbene Macht über das Du nicht ausübt. Der Maskenbezug konnte hier vielleicht gesehen werden in dem verheimlichten Verhalten des erzählenden Ichs gegenüber dem Du. Aber auch dieser Deutungsversuch blieb im Ungefähren. Die Autorin erhielt, wie alle anderen Autoren auch, nach jeweils eingehender Diskussion viel anerkennenden Beifall.

Der Berichterstatter sieht nach diesem Abend aber noch sehr viel unausgeschöpftes Potential für das Thema Masken‘, nämlich dann, wenn die Maske selbst direkt erzählerisch und poetologisch aufgegriffen wird als Symbol oder Metapher für Schein, (Selbst)Betrug, Täuschung, Verwandlung, Identitätswechsel -gewinn oder -verlust, als Instrument religiöser, schamanistischer oder philosophischer Rituale der Welt- und Menschenerkenntnis, etwa im Theater oder Karneval usw. usf. Vielleicht ergibt sich dafür in Zukunft ja noch einmal eine Möglichkeit.

Abendbericht: Ulrich Schäfer-Newiger