Der Abend bot insoweit etwas Besonderes, weil der Autor Peter Bowa keine Prosa und keine Gedichte vortrug, sondern aus einer „Studie“ vorlas. Sie trug den Titel „Es geschah beim Lesen“ und war die Beschreibung des Projektes einer ‚Literarischen Praxis, oder: Wie wird man Lesekünstler?.‘ Der Autor meinte, dass es in Anlehnung von psychologischen oder philosophischen Praxen auch ‚literatische Praxen‘ geben können müsse. Für eine solche Praxis warb er.
Inhalt einer solchen literarischen Praxis soll sein die Herausbildung der „Lesekunst“ oder, etwas anders formuliert, die Fähigkeit, sich fremder literarische Texte anzueignen. Die Beschreibung einer solchen literarischen Praxis erschöpfte sich in Formalien und der Darstellung des äußeren Ablaufes mit einem oder mehreren Rezipienten (Leser) und einem Co-Reader. Sie erinnerte einen Zuhörer wegen der beschriebenen Rolle des Co-Readers, der Kleinheit der Gruppe (nicht mehr als 3) und dem sorgfältigen Protokollieren dessen, was in den kontinuierlichen Sitzungen über einen längeren Zeitraum hinweg gesprochen wurde, an therapeutische Sitzungen und einen gruppendynamischen Prozess. Der Autor wollte nicht ausschließen, dass die intensive Lektüre und sozusagen betreute Auseinandersetzung mit einem fremden literarischen Text, auch therapeutische Wirkung, Verhaltensänderung oder jedenfalls eine geänderte Welterfahrung beim ‚Rezipienten‘ zur Folge haben könnte. Das genaue Ziel der erlernten Aneignung eines literarischen Textes blieb gleichwohl etwas im Dunkeln, auch wenn der Autor am Beispiel des Rilke-Gedichtes ‚Der Panther‘ einen Ausschnitt aus seiner Praxis im Umgang mit Texten schilderte. Diskutiert wurde noch, welche inhaltlichen Voraussetzung ein solcher „Co-Reader“ haben sollte. Genüge etwa das Wissen und Können eines pensionierten Oberstudienrates für Deutsch? Intensive Literaturkenntnisse erwartete der Autor von einer solchen Person natürlich, weitere Eigenschaften und Voraussetzungen blieben aber ebenfalls vage und unklar.
Der Autor wollte die von ihm erdachte ‚literarische Praxis‘ jedenfalls als Dienstleistung verstanden wissen, die natürlich auch etwas kosten würde. Zuletzt beschrieb er seinen Wunsch, dass in möglichst vielen Städten solche ‚literarische Praxen‘ entstehen und diese sich dann auch verbandsmäßig zusammenschließen mögen, sich also professionalisieren.
Wer sich für diese Idee einer literarischen Praxis näher interessiert, kann hier die erwähnte Studie als pdf-Datei herunterladen: www.bross-burkhardt.de.
Abendbericht von Ulrich Schäfer-Newiger