Magische Liebe, Tee in Granada und Enzian – Abendbericht vom 25. Oktober 2024

Wer an diesem Abend nicht dabei war, hat eine der zweifellos interessantesten und zugleich kurzweiligsten Lesungen und Diskussionen verpasst.

Die Autorin Heide König trug nämlich zunächst eigene Übersetzungen ins Deutsche vor. Dabei las sie jeweils die Originale der von ihr übersetzten Textausschnitte in der Ausgangsprache vor. So hörten die Besucher im Wechsel Auszüge aus Theokrits (um 270 v. Chr.) Zweiter Idylle (wohl aus dem ‚Zauberlied der verlassenen Simaitha‘) in fließendem Altgriechisch, danach die jeweils eigene Übersetzung ins Deutsche. In der anschließenden Diskussion wurde bemerkt, der Rhythmus sei im Vortrag beim griechischen Original viel deutlicher erkennbar gewesen als im deutschen Text, woran sich eine Erklärung der Autorin über die verwendete Metrik im Deutschen (kein Hexameter, sondern „etwas zwischen Jamben und Daktylos“!) anschloss. Auch gab sie an, im griechischen die Betonung stärker zu akzentuieren als im Deutschen. Es folgte eine sehr besondere Diskussion über den von ihr verwendeten Begriff „Wendehals“, der anstatt des sonst wohl üblicheren „Zauberrades“ (so die Formulierung im Text, der dem Berichterstatter aus einem Band griechischer Lyrik bekannt ist) von ihr gebraucht wurde, um den magischen Anteil der Liebe – „Liebeszauber“- auszudrücken, um den es Theokrit in seinem Gedicht ging. Daran schloss sich wiederum eine Diskussion über die Verwendung von Zaubertränken zur Beförderung der Liebe in der Literatur an: Überwiegend von Männern erfunden, seltener von Frauen. Als nächstes trug die Autorin eines der elegischen Epigramme der wenig bekannten griechischen Dichterin Anyte (von Tegea, ca. 300 v. Chr.) vor. Eine weitere Eigenübersetzung folgte, und zwar aus dem Arabischen ins Deutsche. Dazu hatte die Autorin ein Liebesgedicht der arabisch schreibenden, jüdischen Dichterin Qasmȗna bint Ismȃil ausgesucht, die in Andalusien des 11. Jhdts. lebte (genauere Lebensdaten sind auch hier nicht bekannt) und das die Autorin in fließendem Arabisch vortrug. Es handelte sich um eine Ansprache des liebesbekümmerten lyrischen Ichs an eine Gazelle im Garten der Klagenden. Zur Auswahl der Texte erkläre die Autorin in der Diskussion, es ginge ihr darum, das Thema ‚Magie‘/Liebeszauber zu erkunden, wobei für sie die Sicht der Frau im Mittelpunkt stehe.

Die eigenen Gedichte der Autorin konnten und wollten diese Herkunft nicht verhehlen. Verschiedene, strenge Formen, mitunter pathetische Wortwahl und Themen zeichneten sie aus. Es ginge ihr vornehmlich darum, erklärte die Autorin, konkrete Dinge in eine innere Beziehung zu bringen. Im Gedicht „Tee in Granada“ kam dieses Ansinnen gleich deutlich zum Ausdruck: Einem ersten, zweiten und dritten Guss ins andalusische Teeglas folgten jeweils weiter- und tiefergehende, konkretere assoziative Beschreibungen die schließlich in einer Dönerbude in Berlin endeten. In dem Gedicht „Enzian“ hieß es zu dessen geschmackliche Wirkung im Mund poetisch: …es überkommt die Klarheit die Zunge / ohne darauf ein Wort zurückzulassen. Ein Gedicht über das Bogenschießen, bei dem nach Abflug des Pfeiles der Geist zurückbleibt hatte die Form des japanischen Tanka. In anderen Gedichten gab es Formulierungen wie: Alleiniger Wächter bist du, Hüter Deines letzten Erinnerns, oder: Blind für Deiner Haare Glanz / kost ich Deines Tastens Düfte, oder in einem Text, welchen die Autorin selbst als „Aneignung eines Rilke-Gedichtes“ bezeichnete: Hart der Weberin Schiff / nicht traurig im siebenten Mond? Alle Gedichte waren gekonnt konstruiert, Versmaß und verwendete Bilder hinterließen, so wurde in der abschließenden Diskussion befunden, Melancholie, wenn nicht Traurigkeit, etwa, wenn eine Liebesbegegnung mit dem Bild einer Kalligraphie assoziiert wurde. Auch wurde fragend zu bedenken gegeben, dass damit eine Distanz zum eigentlich gemeinten Gegenstand geschaffen wurde, vielleicht um ihm nicht zu nahe zu kommen.

Am Ende dankbarer Beifall für diesen abwechslungsreichen und lehrreichen Abend, den die Autorin souverän beherrschte und die Anwesenden wissbegierig mit Fragen und Diskussionsbeiträgen begleiteten.

Abendbericht: Ulrich Schäfer-Newiger