Es fanden sich für das Thema „Büro“ an diesem Abend vor wieder vollem Hause 5 Autoren, die Geschichten vortrugen, in denen jeweils ein „Büro“ als mehr oder weniger entscheidender Ort des zum Teil dramatischen Geschehens eine Rolle spielte.
Peter Asmodei erzählte die Geschichte eines Zeitgenossen, dem am Münchner Hauptbahnhof die Brieftasche gestohlen wurde. Dass der Diebstahl von einem verdeckten Polizeifahnder gleich beobachtet, der Dieb und der Bestohlene in dessen Büro beordert wurden, half dem Bestohlenen nicht. Seine Brieftasche samt Inhalt (Geld und sämtliche Ausweispapiere einschließlich Führerschein) wurden von dem Polizisten als Beweismittel für den späteren Prozess einbehalten. Es folgte die Schilderung der teils grotesken Erlebnisse des Bestohlenen ohne Geld und Papiere, verwickelte Situationen, aus denen ihn der Dieb selbst errettete, indem er ihm mit Hilfe gefälschter Papiere u.a. eine neue Identität verschaffte. Ein Büro kam in diesem Lebensabschnitt des Bestohlenen nicht mehr vor. Das Publikum fand diese flott erzählte Geschichte kurzweilig und gar positiv-kafkaesk.
Günter Mitschke las vier Kurzbeiträge zur „Literatur der Arbeitswelt I-IV“. Die Arbeitswelten der Protagonisten waren jeweils Büros. Im ersten Text erscheint der Chef mit seinem Sohn im Büro des Erzählers und belehrt den Sohn: Wenn Du in der Schule nichts lernst, wirst du so etwas wie der da. In einem weiteren Text ist das Büro ein Assessment-Center, in welchem der Protagonist natürlich versagt, weil er gegenüber dem Vorgesetzten zu wenig Empathie zeigt. In der dritten Geschichte spielt eine Kantine eine größere Rolle als das Büro, in dem der Erzähler arbeitet. In der vierten kurzen Geschichte verwandelt sich der Bürobote Benjamin in den Augen des Erzählers in eine Allegorie des Schicksals. Offenkundig war, dass es sich um Orte handelte, in denen die EDV keine Rolle spielte, von ihr war nicht die Rede. Es waren Texte aus den letzten 20 Jahren, wie der Autor in der Diskussion erklärte.
Maria Koch las zwei Erzählungen aus der den Zuhörern wohl unbekannten Welt des Bestattungswesens. In der ersten wurde einführend eine kleine Bürolandschaft beschrieben, in welcher nur das Büro des Chefs eine Tür hatte. Neben den üblichen Büroanimositäten zwischen den Büromenschen ging es um eine Vereinbarung mit einer Kundin, die schon ihr Sterbedatum wusste, weil sie sich – wegen einer schweren Krebserkrankung – umbringen wollte. In der zweiten Geschichte spielte die unrühmlichen bürokratischen Bestimmungen für den Umgang mit der Asche Verstorbener in einer Urne die Hauptrolle. Die Zuhörer lernten, dass eine Seebestattung in einem bayerischen See von der Schlösser- und Seenverwaltung genehmigt werden muss, aber natürlich nie genehmigt wird, so dass eine solche Bestattung bestenfalls nur privat durchgeführt werden kann.
Wolfram Hirches Erzählung spielte ausschließlich in einem Büro, nämlich in einem Anwaltsbüro. Darin erscheint ein bekannter Lyriker, der einen Namen wie ‚Wondraschek‘ oder so ähnlich hat und eine Pistole auf den Tisch legt. Aus der habe sich eben im Büro seines Verlegers ein Schuss gelöst und der Verleger liege jetzt auf dem Teppichboden und rühre sich nicht mehr. Das Ansinnen des Lyrikers, sich mit dem Anwalt gleich zu stellen, wiegelt dieser erst einmal ab mit dem Hinweis, es müsse erst ein Honorar vereinbart und alles durchdacht werden. Er solle doch morgen wiederkommen. Die Pistole lässt der Lyriker da, der Anwalt nimmt sie an sich. Denn er hat jetzt noch einen Termin beim Chef, der den unverdächtigen Namen „Rossi“ trägt. Dieser erklärt ihm, man müsse sich trennen und will ihm ein Bündel Geld in die Hand drücken, um die Trennung zu erleichtern. Der geschasste Anwalt zeigt ihm die Pistole und fragt u.a., ob er, Rossi, denn erkennen könne, ob die gesichert sei oder nicht. Er selbst kenne sich nicht aus. Ein Wort gibt das andere und am Ende fällt ein Schuss. Die Scheibe klirrt, Rossi hält sich die Hand aufs Herz, aber es fließt kein Blut. Bis auf einige zeitliche Ungereimtheiten (Schreibmaschine klappert noch in den 90iger Jahren, während erzählt wird, dass Alec Baldwin am Filmset aus Versehen jemanden erschossen hat), fand diese Erzählung beim Publikum großen Beifall.
Gleiches gilt für das schließlich von Petra Lang vorgetragene kurze Langgedicht mit dem Titel „Am Morgen“. Es handelte sich nicht um eine lineare Erzählung, sondern um Bilder und situative, poetische Darstellungen aus dem Alltag (morgens, mittags, abends) einer Frau, die in einem Büro arbeitet und zugleich zu Hause einen Hund hat. Dieser konnte als Gegenpol zu dem Unort Büro verstanden werden, ja als Maßstab für die Wertigkeit des beruflichen Tuns der Protagonistin, die sich nicht „ausstempelt“, wen sie geht. Wieviel Büchsen Hundefutter sind die 39 noch unerledigten Aufgaben der Büroarbeiterin wert, fragt sie sich und legt die Aufgaben beiseite. In der anschließenden Diskussion wurde hervorgehoben, dass die von der Autorin gewählten Bilder (z.B. Sanddorncreme, aufgeschichtete Teller, schleckender Hund, rote Tomaten usf.) zu interessanten Assoziationen evozieren und auf diese Weise dem Geschilderten einen besonderen Charakter verleihen.
Am Ende größter, anerkennender Beifall für die Autorinnen und Autoren.
Abendbericht: Ulrich Schäfer-Newiger
Fotos: Jannette Hofmann und Beppo Rohrhofer