Sand und Mord – Abendbericht vom 28. April 2023

Wolfram Hirche, der mehrjährige Vorsitzende des Literaturbüros, begann seinen Abend  mit drei kurzen Gedichten, von denen eines, es gab das Liebes-Natur-Erlebnis als „Elend‟ aus, den Unmut und das Unverständnis der Zuhörer erregte. Es konnte zwar die Strategie des Gedichtes geklärt werden, in dem von „Vögelein‟ in Brombeerbüschen die Rede ist; jedoch kam der ästhetische Hintergrund dabei zu kurz.

Nach seinem zweistimmigen Langgedicht über einen alten Mann und den Mond  konnte Hirche einen längeren Applaus einheimsen. Was dieses Gedicht von der gelassenen Kaputnik-Atmosphäre eines Charles Bukowski unterscheidet, ist die Tatsache, daß es sich um einen schon dem Begriff nach einmaligen Abgesang handelt, in dem Tod, Zeit, Gier eine drängendere Sphäre schaffen.

Einer Zuhörerin, die sich offenbar gerade mit dem Altern beschäftigte, blieb allein der Lamborghini und der hängende Hintern des lyrischen Ich in Erinnerung.

Unter den Kurzgeschichten war die „Atem‟-Geschichte die ambitionierteste: eine betagtere Ehefrau, die unter Schlaflosigkeit leidet, beobachtet ihren ruhig atmenden Mann zunächst voller Liebe; als sie jedoch in der Zeitung eine Geschichte liest, in der eine junge Frau ihren Mann, die zwei Kinder und sogar den Hund umbringt, kippt ihre Stimmung; sie entschließt sich zum Mord an ihrem Mann. Die psychologische Stringenz dieser Geschichte wurde da und dort angezweifelt; genüge schon die Überzeichnung, um den Gehalt an innerer Wahrheit hervorzubringen? Wolfram Hirche verteidigte sein Werk mit den Worten, daß für ihn Liebe und Haß nahe beieinander liegen; auch sagte er: „Sie muß ihn ja nicht gleich umbringen. Es ist der Luxus des Mordens, daß sie sich Zeit lassen kann.‟

In einer weiteren Geschichte hatte der Autor die Briefform gewählt: Es ging um eine Urlaubsliebe zur Studentenzeit des Icherzählers, die beim Versuch, sie nach der Rückkehr wieder einzufangen, jäh in die Brüche geht.  Eine Zuhörerin faßte diesen etwas steil „Memoir‟ betitelten Brieftext treffend in die Worte, daß der Mensch ohne seine Bezüge jemand anderer sei, als der, den man in seiner Alltäglichkeit antreffe.

Auch bestach Hirche durch den Ansatz einer Geschichte, bei dem es um die Kon- und Destruktivität des Sandburgenbaus ging. Man baut am Meer, als sei nichts; man leugnet den Genuß, den Wellen beim Zerstören zuzusehen. Danach ging Hirches Text „Im Sand‟ in das etwas unmotivierte Nacheinander von Tagträumen über, wie man es von Polts Kino-Klassiker „Man spricht deutsch‟ bereits kennt.

Der ganze Abend hinterließ ein südliches Flair: einmal, weil er an vielen Küsten spielte, dann auch, weil neben italienischen auch französische und spanische Satzfetzen verwendet wurden. Dies alles stand im Gegensatz zu dem miesen und mickrigen Wetter, das einige Interessenten, die das hier nachlesen können, ohnehin nicht vom Sofa aufstehen ließ.

Bericht von Hans-Karl Fischer
Foto von Hellmuth Lang