Berührende Momente und die Schwierigkeiten des Lebens – Abendbericht vom 7. Juli 2023

Zu diesem offenen Abend als Vorentscheidung zum Haidhauser Werkstattpreis hatten sich trotz des schönen Sommerwetters zahlreiche Zuschauer eingefunden, 5 Autorinnen und Autoren stellten sich den Fragen und der Abstimmung des Publikums.

Katrina Behrend Lesch präsentierte als erste Autorin „Augenblick“. Eine Geschichte von dem Auftritt einer jungen Cellistin, gefördert durch einen berühmten Dirigenten, bei deren Erscheinen bereits ein Raunen durch das Konzertpublikum geht und dann wieder, als die scheu wirkende und noch unbekannte Künstlerin zu spielen anfängt und sich von „der Puppe zum Schmetterling wandelt“ und ein „Taumeln in dem Reich der Gefühle“ verursacht.
Das Publikum im Literaturbüro wandte ein, das der gemeinte Augenblick nicht richtig heraus gekommen sei, bzw. nicht klar geworden sei welcher Augenblick gemeint sie und die Sprache teils abgegriffen und etwas kitschig wirke.

Es folgte Paul Holzreiter mit „Leichtester Sechstausender“ einer furiosen Satire auf die Auswüchse des Himalaya-Hochtourismus. Ein bekannter Klavierhersteller unternimmt es, einen Flügel und einen berühmten (und betagten) Pianisten mit Hilfe von Seilen und Sherpas auf den Gipfel des Island Peaks, des „leichtesten Sechstausenders“ in der Gegend des Mount Everest, zu befördern, um dort ein Klavierkonzert zu veranstalten.
Den Zuhörern gefiel die intelligente Satire, bei der allerdings die Vermessenheit des geschilderten Unterfangens mit der Aussage, die Beteiligten hätten Glück gehabt, lebend wieder heruntergekommen zu sein, nur angedeutet wird.

Begeistert quittierte sodann das Publikum von Marc Richter seinen „Brief von Paul an Roman“, einen alten Freund, dem Paul sein Leid klagt, besonders seine Spielschulden bei dubiosen Leuten, aber auch eine pubertierende Tochter, die sich auf einem Religionstrip befindet und Eltern und überhaupt ihre ganze Umgebung ablehnt, ein Sohn, der sich als Schwuler geoutet hat, seine Untreue gegenüber seiner Ehefrau und seine Erlebnisse im Bordell sowie eine Phimose, die zur Vorhautentfernung zwang, womit er jetzt wie sein Freund beschnitten ist und die Untreue seiner Ehefrau, die davon spricht, Sex mit einem anderen Beschnittenen gehabt zu haben. Der Brief endet mit ausdrücklich nur einer Frage des Schreibers an seinen Freund, die er beantwortet haben will, ob Roman nämlich derjenige sei, mit welchem die Ehefrau ihn betrogen habe…
Gelobt wurde die Authentizität des Textes in dem die Umgangssprache gut getroffen wurde, trotz der vom Autor offenbarten Tatsache, dass ein Großteil der Worte dem Römerbrief des Apostels Paulus entnommen waren. Angemerkt wurde auch, dass das hohe Lesetempo das Verständnis des komplexen Inhalts schwer gemacht habe.

Fortgesetzt wurde der Abend mit „Treiben“ von Philipp Stoll, einem Strandspaziergang des Protagonisten mit einer Frau nach einem Sturm in mediterranen Gefilden, seinen Assoziationen beim Anblick des Treibguts an Kängurus, Mammutzähnen und Saurierknochen und den Gedanken des Protagonisten beim Beobachten eines Insekts, das ein Loch in den Sand zur Eiablage gräbt und mit einem herangerollten kleinen Stein verschließt und den wie von einem Riesen zum Mikadospiel aufgehäuften angeschwemmten Baumstämmen über Freiheit der Willensentscheidung, oder dem Gefangensein in vorbestimmten Abläufen, in denen die eigenen Welt zum Mikrokosmos wird und die Parallelitäten zum Denken von Leuten, die ernsthaft beim Anblick von Kondensstreifen glauben, diese seien Zeichen der Vergiftung der Menschheit durch Außerirdische, bevor sich zum Schluss beide in die Arme fallen. Aus dem Publikum kam Kritik, der Text erinnere an eine Schreibübung, die Fragen kämen nicht deutlich heraus.

Zuletzt berührte Marion Zechner mit „Mamuschka“ die Zuhörer. Eine Frau besucht mit Mann und Kindern die Groß- bzw. Urgroßmutter in deren Haus. Kindheitserinnerungen an den Garten und die Gartenpforte mischen sich mit Betroffenheit und auch Abwehr angesichts der offensichtlich nahen Todes der alten Frau im Rollstuhl, die von einer Pflegerin versorgt wird. Die Darstellung stieß auf einhelliges Lob des Publikums.

Die Anwesenden wählten Marc Richter mit knappem Vorsprung zum Tagessieger und Kandidaten für das Finale des Haidhauser Werkstattpreises.

Abendbericht von Rainer Kegel
Foto von Wolfram Hirche