Ein solches Spektakel hatte das MLB bis zu diesem Abend wohl noch nicht erlebt: theatralisch vorgetragene Lyrik, einfühlsame Gitarrenmusik, Kostümtanz, euphorischer Gesang und beeindruckende Pantomime. Inna Zagrajeski, Elena Dinitz, Friedrich Wetter, Aurelia Pociute, Guencho Todorov und der im MLB bekannte G.H. präsentierten ein kurzweiliges Programm russischer Kunst. Vorgetragen wurden ins Deutsche übersetzte Gedichte diverser russischer Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, unter ihnen Nikolai Gumiljow („Die verirrte Straßenbahn“) und Alexander Blok (Symbolismus). Das Publikum hörte diverse russische Lieder, ebenfalls ins Deutsche übersetzt, unter anderem ein Revolutionslied, ein Kadettenlied, das Lied „am rosigen Meer“ und das Zigeunerlied „schwarze Augen“. Die Texte waren nicht immer gut verständlich, das schien aber auch nicht so wichtig. Aus dem Publikum kam ohnehin die Auffassung, eine Übersetzung russischer Gedichte ins Deutsche sei unbefriedigend. Aber die slawischen Harmonien der Gitarrenbegleitung und die Satzteile, die zu verstehen waren, schufen eine Ahnung von dem, worum es gehen sollte. Wenn Zweck des Abends war, ein russisches Gefühl, oder russische Gefühle zu transportieren, oder ein Gefühl für das Russische oder auch nur ein Gefühl für das vermeintlich Russische, dann ist das eindrucksvoll gelungen. Beigetragen hat vor allem der Enthusiasmus auf der Bühne, der sich im Laufe des Abends auf Teile der zahlreich erschienenen Zuhörer und Zuschauer übertrug.
Die Show war nach einer guten Stunde vollbracht. Anschließend nutzte man Gelegenheit und Atmosphäre zu anregenden Gesprächen.
Im Nebenraum wartete die ganze Zeit über eine Krähe, geduldig auf der für sie selbst bestimmten Transporttasche sitzend, auf ihren Einsatz, der zwar nicht geplant war und auch nicht geschah, aber gut in den Abend gepasst hätte.
Das MLB zeigte sich von seiner flexiblen und völkerverbindenden Seite.
Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine war kein Thema.
Bericht von Philipp Stoll