Das Wilde in uns – Bericht vom 22.4.22

Mit der Story „Traumimmobilien“ spießte Vladimir Kholodkov im Münchner Literaturbüro zunächst mal die sozialen Gegensätze am Beispiel frisch erbauter Luxus-Eigentumswohnungen auf – der gute alte Nockherberg, an dem die Tram vorbeiruckelt, beherbergt jetzt auch Paare wie Jan und Alexandra, die ordentlich verdienen, gut geerbt haben und sich eine 125 Quadratmeter-Wohnung im besten Segment leisten können  –  freilich ist dann auch die „Zärtlichkeit der Klobrille“ das emotionalste Element, bevor das Chaos losbricht. Die Jauche steigt und spritzt, die Paare geraten in Streit. Und selbst im Modus der Versöhnung lässt sie die braune Brühe nicht in Ruhe – ob das auch politisch gemeint sein könnte, bleibt offen. Keine guten Aussichten jedenfalls.

Das wurde dann etwas besser, als „der Stiefvater“ in der zweiten Story im eiskalten Februar die braven Bürger am See vor der Stadt mit seinem Nackt-Eisschwimmen schockiert. Sehr genau und realistisch wird das Funktionieren des menschlichen Blutkreislaufs im Extremmodus „Eis“ erklärt, und der Schwimmer rettet sogar obendrein noch das versagende Modellschifferl im See. Eine kleine, ferngesteuerte Luxusyacht, natürlich. Das Publikum bemängelte an dieser realistischen Story ein wenig die Perspektive des Erzählers.

Erst nach der Pause schlug der Autor richtig zu und präsentierte die vielstimmige Dialoggeschichte „Wild Horses“, in der es um Liebe, Eifersucht und verzweifelte Männlichkeit geht, nebst Aufbegehren gegen den Vater und Verlust von Freundschaften. Ein wildes Panorama, das im Rahmen einer Geburtstagsparty gezeigt wird und die Zuhörer spaltete. Die Mehrheit wurde in den Bann gezogen und wird dem Autor (ach, wer weiß?) treu bleiben.

Abendbericht von wolfram hirche