Wenn manche geglaubt hatten, der Autor Jörg Schön, der zuletzt im MLB mit einem Lyrik-Abend Furore gemacht hatte (wir berichteten), würde sich literarisch auf reimende oder reimlose Verse beschränken, dann wurden sie an diesem Abend eines besseren belehrt. Der MLB-Palast in der Milchstraße verwandelte sich nämlich in ein politisch-historisches Seminar und dessen Leiter konfrontierte das angestrengt lauschende Publikum mit gewagten Thesen über die berühmte Widerstandsgruppe. Auf der Grundlage von Tatsachen, die der Autor zwei einschlägigen historischen Werken entnommen hatte, stellte er zahlreiche Fehler in der Organisation und in der konkreten Vorgehensweise der einzelnen Mitglieder der “weißen Rose” dar, die schließlich zu deren Entdeckung und Vernichtung führten.
Beispiele: Man habe, obwohl dies möglich gewesen wäre, Sophie Scholl nicht davor gewarnt, dass die Gestapo auf ihrer Spur war. Sie selbst habe, ohne dass dies geplant gewesen sei, Flugblätter in den Lichthof der Universität hinuntersegeln lassen, was schließlich zu ihrer Ergreifung führte.
Im Publikum wogten die Meinungen hin und her. Vorherrschend war die Überzeugung, im Nachhinein könne man leicht schlauer sein. Und außerdem: Welcher Sinn liege in dieser Fehlerdarstellung. Ergebnis: die Thesen des Autors sind gar nicht gewagt. Es liegt auf der Hand, dass Fehler gemacht wurden. Na und?
Schließlich wurde die Frage aufgeworfen, warum Sophie Scholl die ihr von der Gestapo aufgezeigten Brücken nicht begehen wollte. War sie eine nihilistische Widerstandkämpferin, die – nachdem sie vergeblich Gott gesucht hatte – sich nach dem Tod sehnte?
In einem Meer von Spekulation endete auch dieser Abend.