Gestern war wieder Offener Abend im MLb, die Sonne schien und es war sommerlich warm, und so kam es, was kommen musste: Es hat sich nur ein Autor gemeldet, der sein Glück versuchen wollte, zur Werkstattpreis-Finallesung gewählt zu werden. Daraus wurde aufgrund der nicht vorhandenen Wettberber natürlich nichts, dafür aber ein Abend mit Raimund Fellner und seiner Prosa. Einer Prosa, die makellos formuliert daher kam, wenn auch sie dem einem oder anderem Zuhörer – und natürlich den Zuhörerinnen! – nicht genügend mit Spannung aufgeladen war. Dies lag nicht an dem Inhalt, sondern eher an der Form – keine Dialoge, stattdessen nur indirekte Rede! – und vielleicht auch an der monotonen Stimme des Autors.
Zuerst las er ein Kapitel aus seinem im Entstehen begriffenen Roman Lange Haare , in dem es im Wesentlichen um zahlreiche Konflikte bzw. Vergleiche zwischen Konformisten und dem, natürlich, nicht konform lebenden Ich-Erzähler ging. Die einen haben Beruf und Jobs und damit auch Geld, und der eine nichts davon, ja nicht einmal Liebe, wahrscheinlich weil schon damals in den 1980er Jahren Frauen Männer mit Geld den Habenichtsen vorzogen. Dafür haben diese die Freiheit zu tun und zu lassen, was sie wollen: Die Freiheit, ohne Krawatte und mit langen Haaren herumlaufen zu können. Zum Beispiel.
Aber es gab auch Tiefgründiges: „… gestutztes Äußeres verursache auch ein gestutztes Inneres … Ein freiheitliches Inneres an Geist und Gemüt ist immer nach außen sichtbar. Gestutzte Erscheinung zieht immer gestutzte Gedanken und unfreien Geist nach sich und ist der Ausdruck feiger Kriecherei und opportunistischen Verhaltens.“ Oder gut Beobachtetes: „Auch Brixe ging den Weg der meisten Frauen, deren Haare mit zunehmendem Alter immer kürzer werden.“
Nach der Pause las Raimund einen Text, den er für eine philosophische Zeitschrift geschrieben hatte; Titel Lust und Askese, kein Widerspruch . Untertitel: Nach der äußeren sexuellen Befreiung folgt die innere. Es folgten Zwischentitel wie „Bleibt ewige Freude und Lust eine jenseitige Vertröstung?; Lust oder Wollust?; Joga und Kreuz führen zur himmlischen Freude schon hienieden; Im Wahnsinn oder Hoffnungssinn auf dem Pfad der Tugend tätig; Innere Aussöhnung mit dem Idol macht Lust; Autarke Lust“
Gleich zu Anfang wurde Nitzsches Spruch „Alle Lust will Ewigkeit, tiefe, tiefe Ewigkeit.” zitiert und: bezweifelt. Auch hier tauchten sogenannten Realisten auf, die im ersten Text treffend als Knechte des Mammons tituliert wurden, die nun behaupten, mit dem irdischen Dasein voll zufrieden zu sein, meinend, dass sich Freud und Leid eben abwechseln im Leben, was hinzunehmen sei, weil das ist so ist und immer bleiben wird. Solches geht dem Autor gegen den Strich, denn wer kein Idol hat, also nicht nach mehr strebt, der sei ein armer Tropf, der am Leben vorbei lebe.
An dieser Stelle müsste man dem unbedarften oder der philosophisch weniger kundigen Leser erklären, was der Autor mit eidolon also mit Idol samt Shakti , exerzitiae und Askese meinte. Aber das alles hier wiederzugeben übersteigt die Kraft des Berichtenden. Er hat diese Begriffe hier ohnehin nur genannt, um anzudeuten, was denjenigen entgeht, die lieber ins Schwimmbad gehen als im MLb Texten zu lauschen, die es in sich haben.
Nur so viel sei noch gesagt: Dieser Leseabend endete nicht im MLb, sondern mit heißen Diskussionen über Gott und die Welt im Kalami, bis es dem Wirt zu viel wurde und uns davon jagte. Okay, das nicht gerade, aber die strengen Öffnungszeitenvorgaben der Stadt gelten auch für laue Sommerabende mit griechischem Wein als Askeseersatz. Leider.
Bericht von Dion von Eleusis