Liebe und Tod, Freundschaft und Familie – Abendbericht vom Finale des 30. Haidhauser Werkstattpreises

Im Finale am 7.10.2023 im nahezu ausverkauften „Projektor“ im Gasteig HP8 traten acht Autorinnen  und Autoren zum Wettbewerb um den mit 500 Euro dotierten Haidhauser Werkstattpreis an.

Herbert Hollitzer berührte als erster Autor das Publikum mit seinen bereits vor längerer Zeit entstandenen Geschichten. In seiner ersten Story „Leberfleck“ unterzieht sich eine elegante junge Dame einer Leberfleckentfernung, nichts ahnend, dass sich dieser Fleck als unheilbarer Krebs herausstellen wird und sie aus der Narkose nur noch aufwacht, um zu sterben. Auch in der zweiten Story ging es ums Sterben, diesmal aus den Augen eines jungen Pflegers, der das erste Mal einen Patienten beim Ableben begleitet. Ganz anders die dritte Geschichte, in der der Autor humorvoll den Wettstreit zwischen einer aufgemotzten Harley-Davidson und einer zarten Vespa schilderte.

In der Kurzgeschichte „Der Auffüller“ von Hartwig Nissen verliert ein Werbetexter wegen bzw. unter dem Vorwand eines Diebstahls eines Heftklammerentferners seinen Job. Trotz erfolgreichen Brainstormings landet er in einem Supermarkt als „Auffüller“ mit der Chance, zum Oberauffüller aufzusteigen. Ehefrau Britta verzeiht ihm kleine Tricksereien und er kämpft erfolgreich gegen die Versuchung, im Supermarkt etwas mitgehen zu lassen. Als er sich und seine Frau dafür mit einer Flasche Wein belohnen will, fällt ihm ein, dass Britta ja gar keinen Wein mehr trinken darf. Die Geschichte erhielt Lob vom Publikum, wurde aber auch als klischeehaft kritisiert, wobei nicht deutlich wurde, wo die Klischees eigentlich lagen.

Sodann trat Peter Heinrichs mit einem Text über den Dichter Josef von Eichendorff und sein berühmtes Poem „Mondnacht“ auf, das Heinrichs um drei weitere Strophen ergänzt hatte. Dabei wurde die Todes- und Trauergeschichte der „lieblichen Tochter“ Agnes des berühmten Dichters intensiv umkreist, mit der Intention, der verbreiteten Interpretation des Gedichts eine andere, nämlich als Text über die Lebensphasen, entgegenzusetzen. Anschließend präsentierte Heinrichs noch zwei Sonette. Aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, dass die vom Autor bevorzugte Gedichtinterpretation in der Germanistik längst verbreitet ist.

Es folgte Annette Katharina Müller mit „Die selbstbewusste Birke”. An einer Münchner Straßenkreuzung wächst aus dem Pflaster eine junge Birke, die dort nicht angepflanzt, sondern vom Wind ausgesät wurde, dank der Mithilfe der Anwohner, die für regelmäßiges Gießen sorgen. Als dann Arbeiter der Stadtgärtnerei auftauchen, um die Birke, weil sie sozusagen ungeplant gewachsen ist, zu fällen, kommt es zu einem spontanen Protest der Anwohner, der die Arbeiter jedenfalls fürs erste wieder abrücken lässt. Dem Publikum war die Geschichte teilweise zu idyllisch, wurde aber als gut geeignet für ein Kinderbuch erachtet.

Nach der Pause quittierte das Publikum begeistert Marc Richters „Brief von Paul an Roman“. Darin klagt Paul seinem alten Freund sein Leid, besonders die Spielschulden bei dubiosen Leuten, aber auch eine pubertierende Tochter, die sich auf einem Religionstrip befindet und ihre Eltern wie überhaupt ihre ganze Umgebung ablehnt, einen Sohn, der sich als Schwuler geoutet hat, seine Untreue gegenüber seiner Ehefrau, seine Erlebnisse im Bordell sowie eine Phimose, die zur Vorhautentfernung zwang, womit er jetzt wie sein Freund beschnitten sei. Auch die Untreue seiner Ehefrau, die davon spricht, Sex mit einem anderen Beschnittenen gehabt zu haben, beschäftigt ihn. Der Brief endet mit ausdrücklich nur einer Frage des Schreibers an seinen Freund, die er beantwortet haben will: ob Roman nämlich derjenige sei, mit welchem die Ehefrau ihn betrogen habe …
Gelobt wurde die Authentizität des Textes, in dem die Umgangssprache gut getroffen wurde, trotz der vom Autor offenbarten Tatsache, dass ein Großteil der Worte dem Römerbrief des Apostels Paulus entnommen waren.

Ganz anders näherte als nächster sich Peter Asmodai in seinem surrealen Traumstück „Festhalten“ der Realität. In seiner Geschichte beobachtet das „Ich“, wie gleichsam ein Laken mit zwei Gucklöchern über die Wirklichkeit geworfen wird und der (rettende?) Schreibtisch mit „königsblauer Tinte“ auf jemanden, vermutlich den Autor selbst, zutreibt, der sofort zu schreiben versucht. Das Publikum fand den Text voll von literarischer Tiefe.

Karin Riedl entführte sodann die Zuhörer mit der Kurzgeschichte „Mykita, der Mörder“ mit sehr aktuellem Bezug in ein östliches Land im Krieg, offenbar eine Anspielung auf die Ukraine. Der Text transportiere überzeugend die Angst der Familie vor dem nächsten Bombeneinschlag und die geplante Flucht, bei der die geliebte alte, schwerkranke Katze nicht mitgenommen werden kann, weshalb der 14-jährige Protagonist sie von ihrem Leiden erlöst und sich voller Gewissensbisse im Wald versteckt. Auch wenn einigen Zuhörern die Tränen und Gefühle etwas zu dick aufgetragen vorkamen, wurde die Story vom Publikum gelobt.

Ost- bzw. Südosteuropa war auch der Schauplatz des zuletzt präsentierten Textes von Tania Rupel Tera. „Die leere Stelle“ ist eine Geschichte über ein kleines Mädchen, das im familiären Männer-Streit zwischen „Onkelchen Lenin“ mit Spitzbart und dem nackten Jesus am Kreuz hin- und hergerissen wird. Nur die ruhige Hand mütterlicher Wärme führt das Kind durch alle Probleme der 80er Jahre in Bulgarien und zeigt, dass es eigentlich nur auf die Liebe ankommt. Bei den Zuhörern jedenfalls kam die Geschichte gut an.

In der folgenden Abstimmung wählte das Publikum mit deutlichem Vorsprung Marc Richter zum Gewinner des 30. Haidhauser Werkstattpreises vor Hartwig Nissen, Karin Riedl und Tania Rupel Tera. Auf den weiteren Plätzen folgten Peter Asmodai, Annette Katharina Müller, Herbert Hollitzer und Peter Heinrichs.

Moderiert wurde der Abend von Simone Kayser, die das Publikum auch dazu bewegen konnte, über die Texte zu diskutieren.