Nicht eingelöste Männerphantasien – Bericht vom 24. Juni 2022

Der Autor, Dieter de Harjo, breitete vor sich auf dem Tisch zunächst allerlei Utensilien aus: Ein buntes Tuch, Bücher, die er geschrieben hatte, auch das, aus dem er vorlesen wollte, CDs mit seiner Musik, ein eigenhändig gemaltes Bild mit acht Symbolen, die niemand verstand, aber etwas mit der Phallus-Skala der Mannwerdung zu tun haben sollten, wie später auf Nachfrage erklärt wurde, sonstige Kleinigkeiten, die man von unten, vom Zuschauerraum aus, nicht sehen konnte. Nachdem die Eingangsmusik, die aus einem Gettoblaster hinter ihm ertönt war, verstummte, begann der Autor nicht etwa aus seinem Roman „Adonis Adamos“ zu lesen. Sondern redete über den Roman, im Wesentlichen das (freilich mit mehr Worten weitläufig ausgeschmückt), was schon in der Ankündigung, nämlich hier: https://muenchner-literaturbuero.de/veranstaltung/2060-mlb-lesung-dieter-de-harju/, gelesen werden konnte und kann und daher an dieser Stelle nicht wiederholt werden muss. Hinzu kamen noch Geschichten seiner Autorenwerdung (langweilige Universitätstätigkeit, Hinweise auf Marc Aurel, der Mann als Ringer, nicht Tänzer, Lebenskunstratgeber, keine Lust auf Regelmäßigkeit, Leiden seiner Partnerin unter dem Schreibprozess, vom Sachbuchautor zum Romanautor, usw. usf.) Er hob hervor, dass der nachher von ihm gelesene Text derjenige des Ich-Erzählers Adonis, nicht aber sein eigener sei.

Wollte sich der Autor also hinter seiner imaginierten Figur verbergen? Nach zwanzig Minuten las er etwa drei Minuten lang erstmals aus seinem Buch, von Seite 211: Die geheime Skala zu finden, ist meine Mission, der Sinn meines Lebens. ….. Nach kurzem Vorlesen folgten erneute Erklärungen des Autors. Beides wechselte sich regelmäßig ab. Längere, zusammenhängende Passagen bekamen die Zuhörer nicht zu hören. In der Diskussion wurde daher gefordert, doch den Text selbst sprechen zu lassen und weniger über den Text zu reden. Der Autor aber vertraute ganz offensichtlich seiner Redekunst sehr viel mehr als seiner Schreibkunst und fuhr auch nach der Pause mit dem Wechsel kurze Lesung, lange Erklärung fort.  Sätze, wie sie der Autor zum Beispiel bei der Begegnung mit den acht ‚unbeseelten Weibern‘ zu formulieren gewusst hatte (S. 365): Ich schaute jede dieser wunderbaren Frauen in herzlicher Verbundenheit an, atmete tief durch. Sie begegneten meinen Blicken so, als verstanden sie, was ich gerade fühlte und dachte. Oh, Mann! hörten die Zuhörer oftmals. Eine Diskussion über sprachliche, poetologische, stilistische usw. Besonderheiten des Textes entspann sich nicht, denn dem Autor ging es erkennbar nicht um Literatur, sondern um den immer wieder erwähnten und behaupteten Prozess der Mannwerdung.

Die Zuhörer erfuhren freilich nicht, worin das Geheimnis der Phallus-Skala der Mannwerdung und der Überwindung der vom Autor behaupteten allgemeinen Entmannung denn konkret bestand. Dazu müsse man das ganze Buch lesen, hieß es vom Autor. Tatsächlich konnte er auf diese Weise einige Exemplare seines Romanes verkaufen, u.a. eines an den Rezensenten.

Abendbericht von USN