Drachen und andere Traurigkeiten – Bericht vom 1. Juli 2022

Gut besuchter Wettbewerbsabend zu Beginn der zweiten Jahreshälfte 2022. Sechs Autorinnen bzw. Autoren traten an, um ins Finale des 29. Haidhauser Wettbewerbs am 11. September einzuziehen. Abendsiegerin wurde Tania Rupel Tera mit ihrem nachdenklich-melancholischen Text, dem sie nachträglich den Titel „Vater“  gab.

Doch zunächst hatte Günter Mitschke mit kurzer, zackiger Prosa und drei Gedichten begonnen. Das enge Verhältnis Mensch-Tier aufdeckend, wobei das gefräßige, aber sympathische Schwein Veronika als bedeutsame Symbolfigur herausragte.

Andreas Wiehl versetzte die Zuhörer mit seinem tief summenden „substanzlosen Drachen“ in Erstaunen, dessen allumfassendes und zersetzendes Wirken wohl nur durch gesellschaftlichen Wandel zu  beenden wäre. Eine Erzählung über die Juroren der Kunstakademie illustrierte prägnant dieses drachenartige Un-Wesen.

Die  spätere Siegerin Tania Rupel Tera aus Bulgarien überzeugte das Publikum mit einem (wahrscheinlich authentischen) Besuch bei ihrem verwitweten Vater im Altersheim. Von nebenan ertönten Schreie, an die „er sich schon gewöhnt“ hatte, aber auch Musik. Und mit bulgarischer Lyrik erkennt die Besucherin, dass der Vater bei aller Veränderung im Kern doch noch der selbe geblieben ist. Eine Geschichte, die durch geschickte Komposiiton und zarten Hoffnungsschimmer das Publikum zu überzeugen wusste.

Auch Petra Lang servierte eine mehr oder weniger authentische Ich-Erzählung, diesmal aber von Flucht und Vertreibung in der Kindheit. Das Potpourri aus Findelkind, heißer Herdplatte und vielen Tanten wurde vom Publikum doch eher etwas kritisch betrachtet.

Hartwig Nissen stimmte mit seiner Geschichte „Große Fahrt“ in die eher elegischen Erzählungen dieses Abends ein. Sein Andreas kehrt nach vielen Jahren zurück zum Haus seiner Kindheit und trifft dort den alten Freund Lothar. Die Erzählung von alter Schuld, Kindesgrausamkeit, einem späten Klassentreffen und dem Tod des Freundes hätte durchaus auch das Zeug zur „Nummer eins“ des Abends gehabt.

Sehr weit nach vorne gewählt wurde auch die Premieren-Lesung von Diane Gill „Der Brief“. Auch hier  geht es um zwei sehr alte Menschen, die sich über große Distanz noch schriftlich miteinander „unterhalten“. Vergangenes: Der Bombendonner über Dresden, ein altes Zeitungsfoto und die Hand, die zittrig wird, deuten das Ende der Freundschaft an.

Abendbericht von W. Hirche