Sprache, die sich bewegt – Abendbericht vom 10. Februar 2023

Wer bei dieser Lesung nicht dabei war, hat tatsächlich etwas verpasst. Nämlich u.a. die kurzweilig-dramatischste und zugleich witzigste Erzählung über die Abgründe der deutschen Grammatik, in die freilich erwachsene nativ speaker nie, Besucher eines ‚Integrationskurses Deutsch‘ vermutlich täglich hinabblicken und schwindelnd erschaudern. Davon handelte die erste von Bunye Ngene vorgetragene Geschichte mit dem Titel „Wechselpräpositionen“. Die erste, so verriet er, die er auf Deutsch geschrieben hat. Darin versetzt er sich in eine Sprachschülerin, aus deren Perspektive eine solche Deutschstunde beschrieben wird.

Dies geschieht in ausgeklügelt-spannender Sprache, geschickt wechselnd zwischen genauer Beschreibung vermeintlicher Kleinigkeiten, z.B. von „abgeriebenen Radiergummiresten“ auf dem Tisch und wörtlicher Rede beim Versuch der russischstämmigen Deutschlehrerin, den Schülern den Unterschied zwischen Dativ und Akkusativ beizubringen. Die anschließende Diskussion ergab, dass auch die Zuhörer durch diesen fiktiven Nachhilfeunterricht wieder etwas gelernt hatten. Dabei ist die Geschichte in einem leicht spöttischen Grundton gehalten, ohne dass auch nur eine der Figuren der Lächerlichkeit preisgegeben ist. Das ist handwerklich-literarisch sehr geschickt gearbeitet. Einhelliger Beifall. In der Diskussion gefragt, warum er sich denn in eine Erzählerin hineinversetzt habe, antwortete der Autor, so könne er die nach seiner Ansicht notwendige Distanz des Autors zur eigenen Erzählung wahren.

Einhelligen Beifall erhielt auch die zweite vorgetragene Erzählung mit dem Titel „Heute kommt Papa zurück“. In ihr wird aus der Sicht eines 7-jährigen Jungen geschildert, wie er, seine Mutter und seine Großmutter sowie ein als „Onkel“ zu bezeichnender Hausfreund, die erstmalige Rückkehr seines Vaters aus Europa mehr oder weniger aufgeregt erwarten. Der Junge selbst hat ihn noch nie gesehen, nur mit ihm telefoniert. Auch in dieser Geschichte zeigte sich das Können des Autors, seine Sprache der Perspektive des Erzählers, hier also des – im Lauf der Geschichte vom Onkel freilich als „schlau“ bezeichneten – Kindes anzupassen, ohne dass sie kindlich-einfach wirkt. Auch diese Geschichte war in einem leicht spöttischen Grundton gehalten, der durch einzelne, punktuelle Bilder getragen wird, etwa wenn die Großmutter einen Staubsauger als ‚Instrument der Faulheit‘ deklassiert.

Literarisch vermutlich sogar am spannendsten war der vom Autor nach der Pause vorgetragene Text. Bei ihm nämlich handelte es sich um einige wenige Kapitel aus seinem englischsprachigen Debütroman „The Bodies that Move“, allerdings in der vom Autor selbst besorgten Eigenübersetzung ins Deutsche mit dem Titel „Die Körper, die sich bewegen.“ Erzählt wird eine Flucht aus Nigeria nach Europa, vermittelt und organisiert von Schleppern, die auf abenteuerlich-erdrückende Weise eine Gruppe von Flüchtlingen, die sich alle vorher nicht kannten, nach Europa schleusen wollen. Vorgelesen wurden Kapitel, die den Beginn der Flucht beschreiben, den Abschied von der Familie, das Trauerritual anlässlich der Trennung von der Mutter, die Wünsche der kleineren Geschwister, den Kauf von ‚Akara‘ (phon.), das sind Bratlinge, die man an der Straßenecke kaufen kann, als Wegzehrung. Der Vortrag endete mit dem Erreichen und der Überschreitung der Grenze zum Niger. Die Zuhörer lernten quasi beiläufig etwas über den Unterschied zwischen Süd- und Nordnigeria, dem unterschiedlichen Charakter der Bewohner. Hier war die Sprache erkennbar ernster, beschreibend-sachlicher, der ungewissen Situation und Zukunft des Protagonisten angemessen. Auch hier: Beifall. Kritisiert wurde in der Diskussion indessen ein angeblich vorherrschender Nominalstil, etwa Begriffe wie ‚Beschaffenheit‘, ‚Verständigungsebene‘. Sperrige Worte seien das, welche die Geschichte unlebendig machten. Mehr direkte Rede sei wünschenswert, wurde geäußert. Inwieweit dieser Sprachstil dem englischen Original geschuldet war, konnte natürlich nicht aufgeklärt werden. Das gelingt vielleicht, wenn wir in Zukunft weitere Kapitel der deutschen Fassung des Romans vorgetragen bekommen. Darum jedenfalls wurde der Autor am Ende des Abends ausdrücklich gebeten.

Bericht und Foto: Ulrich Schäfer-Newiger