Wenn zwei promovierte Literaturwissenschaftlerinnen sich zusammentun, um in einem freihändig inszenierten Dialog den Impetus ihres Schreibens und ihre Rolle/Identität als Schriftstellerinnen coram publico auszuloten, dann ist für dieses Publikum Konzentration gefordert und höchste Aufmerksamkeit. Das erfuhren die nicht sehr zahlreichen Besucher und Besucherinnen der Lesung von Lisa Jeschke und Slata Roschal. Schon äußerlich sollte der Abend anders gestaltet werden als üblich und das Ganze „in einem durchgezogen“ werden. Die gewohnte Pause war nicht vorgesehen.
Beide Autorinnen zeigten zunächst ihre bisher veröffentlichten Bücher vor und erkundeten dann dialogisch biographische Gemeinsamkeiten. Die in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende, besondere Gemeinsamkeit beider ist, so hoben sie hervor, dass sie ursprünglich aus anderen Sprachen kommen, Lisa Jeschke nämlich aus dem Englischen und Slata Roschal aus dem Russischen. Jeschke berichtete von der besonderen Erfahrung der Selbstübersetzung eigener, original im Englischen geschriebene Gedichte ins Deutsche. Roschal las aus ihren, mittlerweile bekannten und vielfach besprochenen „153 Formen des Nichtseins“ einige Kapitel vor, in denen Sprachen eine besondere Rolle spielen für Fremdbestimmtheit, Orientierungslosigkeit, Selbstbehauptung. Eindrucksvoll dabei die absurde Geschichte, in der die Erzählerin von gedolmetschter Therapie und deren grundsätzlichen Unmöglichkeit berichtet (Therapeut und Patientin sprechen unterschiedliche Sprachen und verstehen sich nicht, die Erzählerin dolmetscht, d.h., legt Fragen und Antworten eigenmächtig und -sinnig aus).
In den von Lisa Jeschke vorgetragenen eigenen Gedichten aus der „Anthologie von Gedichten betrunkener Frauen“ und „Beschreibung der FDP“ geht es ebenfalls um Selbstbehauptung, Selbstbestimmung, Protest. Die Protagonistinnen bezeichnen sich zumeist als Roboterinnen, die Befehlen von Agenten gehorchen sollen, Fragen stellen, keine Antworten bekommen, an sich herumschrauben, Teile austauschen usw.; eine gebündelte Metaphorik uneindeutiger, mehrdeutiger Identitäten zwischen biologischen Gegebenheiten und technisch-metallenen Zwängen und zugleich Freiheiten. Der Begriff „FDP“ tauchte auf, scheint aber nicht mehr als ein Ankerwort zu sein, an dem sich einige der Texte festhalten. Das alles waren sprachlich sehr dichte, komplexe, informationsgeladene Gebilde, die man gerne mehrmals gehört hätte, um Details wahrzunehmen, Strukturen genauer zu erkennen, die Texte selber zur Ruhe kommen zu lassen. Aber Stakkato lag in den Texten, entsprechend der Vortrag der Autorin
Jeschke stellte schließlich noch die in Deutschland praktisch unbekannte englische Dichterin Anna Mendelssohn (1948 – 2009) vor, die eine politisch-öffentliche Figur der Protestszene Englands der 70iger Jahre war. Sie las einen Teil eines der von ihr übersetzten Langgedichte Mendelssohns. Auch hier das Phänomen eines inhaltsvollen, komplexen, mit allen möglichen Themen von Frau sein mit Kind, faschistischer Literatur, politischem Protest, zeitgenössischer Musik, der Modernität von Blake und Turner usw. usf. vollgeladenen Textes, der daher Gefahr lief, nur fragmentarisch wahrgenommen zu werden.
In der anschließenden kurzen Diskussion erklärte die Autorin selbst, Mendessohns Gedichte seien semantisch fragmentiert. Gerade die als schwierig oder gar unmöglich erachtete Lyrikübersetzung gebe wegen ihrer Schwierigkeit aber auch eine sonst nicht mögliche Freiheit im Umgang mit der Sprache.
Am Ende – nach dem (Schluss)Vortrag zweier Gedichte der beiden Autorinnen: Beifall für diesen erkenntnisreich-anspruchsvollen Abend.
Abendbericht und Fotos: USN