Nach anfänglichem Zögern fanden sich, bei an sich gut besuchter Lesung, doch vier Anwesende, die auch Texte dabei hatten und sich dem ersten offenen Wettbewerb des Jahres 2024 zu stellen bereit waren.
Zuerst las Christian Nielsen einen Text über „Bitcoin in leichter Sprache“. Satirisch wurde das Phänomen dieses virtuellen Zahlungsmittels aufs Korn genommen. Es handelte sich dabei um einen ‚Sachtext‘, keine Erzählung im literarischen Sinne. Am Ende, das war abzusehen, wusste man genauso wenig wie am Anfang, was ein Bitcoin eigentlich ist. Aber wer weiß das schon wirklich?
Im Folgenden trug Hans Karl Fischer zwei Gedichte, jeweils ohne Titel, vor, einmal über den Wind, auf das sich das lyrische Ich meinte, nicht einlassen zu können und zum anderen über zwei Damen, die zwar Häuser auf Sylt und sonstwo hatten, denen die Welt aber gleichwohl ein Betrug war. In der Diskussion wurde vor allem die gelungene Metaphorik des Windgedichtes hervorgehoben. Formulierungen wie ‚die Luft sitzt schräg am Himmel‘ oder überhaupt der Wind als Beweger von Zeitungsauschnitten, Zetteln, Papierflieger, Manuskriptblätter, die dem Erzähler wegen des Windes entfliehen und unverfügbar werden, fanden beim Publikum Zustimmung.
Nach der Pause las Jannette Hofmann eine Erzählung mit dem Titel „Sehnsucht im Gleichklang“ vor, die in Paris spielte und dort 1994 begann. Es handelte sich um eine Familiengeschichte, die über mehrere Jahre und Jahrzehnte sich hinzog und sozusagen den langsamen, inneren Zerfall der Familie gekonnt beschrieb, von der Trennung des Vaters von der Mutter bis zu dessen Demenz und seinen Fahrradsturz am Ende mit Genickbruch. Dieses Ende, fanden einige Diskutanten, sei übertrieben und habe es nicht gebraucht. Auch der Versuch, in eine recht kurze Erzählung die Ereignisse von Jahrzehnten zusammenzubringen, sei hier an seine Grenzen gestoßen. Aber auch hier, wie bei allen Vortragenden, großer Beifall am Ende.
Zuletzt war ein, wie die Autorin ihn nannte „unkorrigierter Text“ von Tania Rupel Tera zu hören. Er trug den Titel „Sauerkirchen“ und handelte von zwei Schwestern, die sich wohl jahrelang nicht gesehen hatten und zufällig an einer Busstation völlig unvorbereitet wieder aufeinandertrafen. Dieser Plott war eingebettet in einen ganzen Strauß metaphorischer, das Ereignis intensivierender Formulierungen wie „Am Himmel hingen Wolken wie Faultiere“, „Das Unmögliche lohnt sich“, „Gespenster des ewigen Wachens bleiben wir“. Komplettiert wurde diese, langsam fast in einen Traum sich wandelnde Szenerie durch einen Wolf, der während der anschließenden Busfahrt neben dem langsam fahrenden Bus herlief, mit einem toten Tier im Maul. Mehr Symbolik geht kaum. An einer Tankstelle kauft dann eine der Schwester ein Glas Sauerkirchen, das sofort gemeinsame Kindheitserinnerung evozierte, und das sie vielleicht deswegen prompt – wieder sehr symbolisch – fallen lässt. In der anschließenden Diskussion wurde diese gelungene Konstruktion der Geschichte besonders gelobt.
Am Ende dieses gelungenen Abends wurde Tania Rupel Tera mit ihrer Geschichte Abendsiegerin.
Abendbericht: Ulrich Schäfer-Newiger
Foto: Wolfram Hirche