Der Autor Ulrich Braun nahm in seiner Geschichte das Publikum mit, an einem frühen Freitagnachmittag durch die Hintertür zu einem Grab, nur noch ein paar Steinwürfe entfernt. Vorbei an unbekannten Namen, und dann legte er sie nieder: Blumen, an den Rand der Grabstelle. Denn vor ein paar Monaten erst hatte Christoph (Hauptfigur) erfahren, dass Anja tot war. Er hoffte immer, dass es sich um eine Falschinformation handelt und dass Anja in Wirklichkeit irgendwo ein gutes Leben führt. Hiermit brach der Autor die Befürchtung, die dann zur Gewissheit wurde.
Kinder wurden auf die mitgebrachte Gitarre aufmerksam. Während deren Großmutter ein Grab pflegte, sang Christoph das Lied von Reinhard Mey, für das er damals die Zupftechnik gelernt hatte – früher – bis tief in die Nacht. Der Autor begann dadurch mit einer anderen Zeitebene. Es ging um das damalige Leben von Christoph, die anfängliche Kriegsverweigerung, die Vorstellung einer ersten Freundin, seine Vorliebe für Skandinavien und das erste Sommersemester. Dann begann er mit dem Orpheus-Lied und erklärte den Kindern, wer Orpheus und Eurydike waren. Anhand dieser Erzählungen öffnete er Parallelen zum eigenen Leben und gab Eurydike z. B. die Züge von Anja: „dunkle Haare, sensationelle Augenbrauen über dunklen Augen, Grübchen beim Lachen…“.
Die Geschichte verwebte sich dann in die Unterhaltungen am Friedhof mit den Kindern und das Leben von Christoph. Weitere Szenen waren die erste Begegnung mit Anja, eine dramatische Autofahrt in der Nacht, das Aufeinandertreffen mit Anjas strengen Vater und eine Fahrradtour mit ihr. Spielerisch ist der Moment, in dem Anja ihn zu ihrem „Rosen-Elfchen“ krönt, doch in dieser Unbeschwertheit keimt die Tragik. Anja verwandelt sich im Laufe der Geschichte zu einer seelisch abwesenden Person und lässt die Geschichte (jedenfalls im MLB aus Zeitgründen) mit einem Suizid enden.
Titel der vorgetragenen Texte:
- Hintertüre
- Ich wollte wie Orpheus singen
- Ankomme: Freitag, den Dreizehnten
- Fast ein Liebeslied (in Auszügen gelesen; Tennisspiel)
- Min Johann (oder Orpheus in der Unterwelt)
- Blackbird
Die Rückmeldungen waren sehr positiv. Gelobt wurden die Rückblicke des Protagonisten, die nicht störend wirkten und nebenbei einflossen, die ganz gelegen kamen; ganz fließend. Die Sprache des Autors wurde sehr gelobt, da sie sehr angenehm war. Man betrachtete ebenfalls den Vater von Anja. Mit dem Ende von ihr konnte das Publikum das Verhalten von ihm verstehen, warum er so war obwohl er anfangs sehr störend auftrat. Auch war das Ende bei ihrer langen trägen Verlorenheit leicht absehbar. Der Inhalt dieser Geschichte, der Aufbau sowie viele Szenen trafen auf hohe Resonanz.
Leicht kritische Rückmeldungen gab es an einigen Szenen, in denen die Zeitebene für einen Zuhörer nicht klar war. Ein Einwand war, dass der Text anders ausfällt, wenn man ihn vielleicht selbst liest und selbst „vor- und zurückspulen“ kann. So werden die Trennungen evtl. deutlicher.
Und auch der Einwurf, wie lange Kinder sich an einem Friedhof aufhalten, wie zufällig das ist, kam aus dem Publikum. Es hätte mehr natürliche Szenen gebraucht (dass die Großmutter vielleicht die Kinder zurückruft, ihnen eine Jacke anzieht oder sie weiterlaufen, während Christoph noch nachdenkt). Dann gab es allgemein spannende Vertiefungen über natürliche und künstliche Szenen generell in der Literatur.
Insgesamt luden die Texte zu einer interessanten Unterhaltung ein und machten den Abend, zu einem sehr gelungenen Abend.
Abendbericht: Jannette Hofmann
Fotos: Susanne Görtz