Milchstraße goes to Schwabing – Offener Abend am 4.7.2020

Ausnahmezeiten erfordern Ausnahmen von der Regel. So wich das MLb aus der Milchstraße 4 zum Offenen Abend am 4. Juli zu seinem 1985. Leseabend in die Seidlvilla nach Schwabing aus. Diese musste wegen der verpflichtenden Abstandsregelung gesucht werden, und es wurde aus Termingründen die seit Jahrzehnten traditionelle Freitagabendlesung an einem Samstag gehalten. Doch das wunderbare Ambiente des Zenzl-Mühsam-Saals tröstete leicht darüber hinweg. Der laue Sommerabend gab ein Übriges zum Charme dieses Abends.

Hic sunt leones – hier sind Löwen, damit überschrieb man früher auf Landkarten unerforschtes Gebiet, in der Meinung, dort wären unbekannte, gefährliche Wesen. Das ungewohnte Terrain scheuten sechs Autoren nicht, die sich zur Lesung anmeldeten, einer weiteren Vorentscheidungsrunde für den Haidhauser Werkstattpreis.

Die Reihenfolge entschied wie immer das Los, und den Start durfte Stephan Priddy machen mit seiner Story Nackt und Löwen . Hier treffen zwei junge Männer – nackt im Pool – just in dem unbekannten Gebiet einer verlassenen Villa auf einen Löwen. Nicht mal ganz unmöglich. Das Publikum gab formelle Ratschläge.

Ins wirklich Unbekannte fuhren die Vorfahren von Ida Häusser, die Donau hinunter über 3000 km, und dieses damals und heute verarbeitete sie in einem Gedicht-Zyklus mit dem Titel Ich schau in die Augen des Schwarms . Komprimierte Bilder erzählten, die lyrische Klammer bildeten rhythmische Wortwiederholungen. Das Publikum war sehr angetan.

In einen Garten entführte Andreas Wiehl mit der Geschichte Wilderdbeere , in dem zwar keine Löwen, aber ein zu waschender alter Lumpen, zu trocknende Wäsche, sowie eine Zugehfrau und eine altersschwache Mutter und eben der reflektierende Sohn zu finden waren. Somit vielleicht der Löwe des Lebens, das Komplizierte zwischen Kindern und Eltern, zwischen dem Erlebten und dem Abschiednehmen. Die Prägnanz, mit der diese Geschichte in Momentaufnahmen ihre tiefe Substanz zeigte, regte das Publikum sehr zum Diskutieren an.

Nach der Pause startete Ina Froitzheim mit der Story Ein Porträt und das Leben drumherum. Eine rasche, spritzige Erzählung, mit viel Dialog. Ein Ehepaar sucht einen Maler in dessen Atelier auf, wo sie unvermutet sich dessen weitschweifige Weltsicht auseinanderlegen lassen mussten, die einiges an der Gesellschaft auszusetzen hat. Das Ganze mit vielen ironischen Wendungen, gespickt mit raffinierten Beobachtungen, die für die Autorin sprechen, und zu dem hervorragend vorgetragen.

Mit Lyrik und Kurzprosa machte Gerhard Häusler weiter. Er startete mit einer saftigen Replik auf den Ritter von Ribbeck, es ging über Brasiliens Feuer im Urwald, dem Garaus der aktuellen Zeit, bis hin zu dem Statement „Schuldfrage“, das endete mit der Formulierung: Vergibt den Huldigern. Herrliche Spitzfindigkeiten, Einiges zum Schluss hin zu philosophisch eingebettet und etwas überladen – fand das Publikum.

Zum Schluss las Peter Kramer Ich gestehe meinen Blues . In einer adäquaten und konsequent durchgehaltenen Erzählhaltung, was nicht einfach und schon gar nicht selbstverständlich ist, wird hier in Ich-Form das Durchleben von meist „ziemlich fetten“ Bluesphasen erzählt. Die Schilderungen brechen nie ins Peinliche, leise Ironie hält die Waage. Zum Beispiel: „… gibt es nur ganz wenig berechtigte Hoffnung“, so der Erzähler, denn diese sterbe, entgegen des allgemein bekannten Sprichwortes, nicht zuletzt, sondern zuerst.

Zwar mussten die Diskussionen der letzten Beiträge relativ kurz gehalten werden, da wir mit einer Zeitvorgabe arbeiten mussten im Zuge der Hygienemaßnahmen. Es wurde ein spannendes Rennen, denn viele fanden, es gab diesmal einige sehr gute Texte. Schließlich konnte den Sieg Ina Froitzheim für sich beanspruchen, es folgte Andreas Wiehl, und auf Platz drei kam Peter Kramer.

Die AutorInnen lieferten eine wahre Milchstraße der Texte. Vielfältig, strahlend. Das MLb freut sich sehr über diesen ersten live-Abend nach der Corona-Zwangspause.

Bericht von Bea Cavallo