Gestern Abend hatten wir Maria Wargin zu Gast, eine Dichterin, die die Grenzen der Dichtung so weit trieb, dass einige der Zuhörer nicht mehr mitkamen bzw. mitkommen konnten. Dabei fing ihre Lesung ganz leicht und harmlos an – mit minimalistischen Zwei- oder Dreizeilern:
die sonne ist bleich:
der winter ist gekommen.
von gestern erzählten sich
gebrochene äste:
es stürmte.
Doch dabei blieb es nicht: Allein ein kurzes Gedicht, in dem das T O R eine Rolle spielte, verursachte eine viertelstündige Diskussion. Weil ein paar Worte darin auch anders gelesen werden konnten, als auf den ersten Blick erkennbar. Gewiss, es gab Hinweise auf die anderen Lesearten, aber die waren nicht so einfach herauszufinden. Zum Glück haben wir im MLb seit Neuestem einen Beamer, so dass man die 9 Zeilen nicht im Gedächtnis behalten und dort hin und her drehen musste, sondern man hat sie während der Diskussion ständig präsent gehabt, konnte die verschiedenen Schreibweisen studieren und daraus Schlüsse ziehen. Oder auch nicht ziehen.
Denn die Autorin spielt nicht nur mit Wörtern an sich, sie benutzt auch die Typografie als zusätzliches Mittel, dem Leser mitzuteilen, was sie sagen will. Und doch reichte das nicht immer, denn in einem Gedicht, in dem laut der Autorin 3 Personen einen Trialog führten, erkannte das niemand der Anwesenden.
Es wurden uns aber auch schöne Bilder serviert, in denen z.B. das Wasser geschnitten, fernblieb, mit springendem Stein oder ohne. Und es gab auch Prosa, zu der jemand sagte, da wäre stellenweise zu viel Lyrik drin. Und ein anderer meinte bei einem anderen Stück, da würde uns endlich Handfestes, d.h. nichts Verschlüsseltes gereicht, was aber prompt als ein wenig banal empfunden wurde.
Man sieht, die Autorin hatte es nicht leicht mit uns – und wir mit ihr. Endlich mal was anderes im MLb, sage ich da nur, denn Maria Wargin lotete die Grenzen des mit Worten Sagbaren wahrlich aus, gab sich nicht mit simplen Lösungen zufrieden. Gut, wir waren damit teilweise überfordert, aber das ist meistens so, wenn jemand versucht neue und ungewöhnliche Wege zu beschreiten. Ob diese neuen Wege auch in eine neue Zukunft führen werden, lässt sich von uns, im Alten gefangenen Zeitgenossen, nicht sagen.
Bericht von Dion von Eleusis