Unerwartetes, Abgründiges und Geistreiches – Bericht vom 2.9.2022

Die Vorentscheidung für den Haidhauser Werkstattpreis am 2.9.2022 fand starkes Interesse beim Publikum wie auch bei Interessenten für die Teilnahme an der Lesung, von denen sechs ausgelost wurden, um die letzte Gelegenheit, sich für das Finale des 29. Haidhauser Werkstattpreises am 11.9.2022 zu qualifizieren, zu nutzen.

Stefan Priddy machte den Anfang mit “Hugo”. Der Protagonist fährt, nachdem er Zuschauer beim Rosenmontagszug in Köln gewesen ist, mit dem überfüllten Regionalexpress zurück in seine Heimatstadt Hamm in Westfalen. Bei eingeschränkter Sicht durch stehende Mitreisende hört er eine markante Frauenstimme sagen “Mensch Hugo” und rätselt sodann während der ganzen Fahrt, wer den jeder Hugo sei, bis sich am Ende der Geschichte beim Ausstieg in Hamm herausstellt, dass es sich um eine junge, aber bereits riesenhafte Dogge handelt, die noch Schwierigkeiten beim Aus -und Einsteigen in Zügen hat.

Kritik gab es hierzu aus der Zuhörerschaft, dass dieses Ende der Geschichte allzu erwartbar sei..

In dem folgenden Beitrag von Hartwig Nissen “Nachtschicht” fesselte der Autor das Publikum mit einer Krankenhausgeschichte. Ein alter Mann holt mit seinem alten Lieferwagen mit Futtersäcken seine schwerkranke, im Rollstuhl sitzende Frau vom Krankenhaus ab, die gegen ärztlichen Rat entlassen wird und fragt die diensthabende Ärztin, wann er mit seiner Ehefrau wieder schlafen könne, worauf diese wütend reagiert und meint, die Ehefrau benötige vor allem Pflege und der Ehemann dann verlegen meint, es sei doch immer so schön gewesen mit seiner Frau, während die Ärztin über eine sexuelle Beziehung mit einem Kollegen nachdenkt.

Das Publikum lobte die gekonnt erzählte, eingängige Geschichte, fand aber teilweise dem Schluss etwas zu lang.

Sodann präsentierte Guiseppe Tistera zwei kurze Texte, einmal “Das Evangelium nach mir”, eine Erzählung nach einem Abschnitt des Lukas Evangeliums. Der verhasste Steuereintreiber Zachäus erhält Besuch von Jesus Christus, der in Zachäus´Haus übernachtet, worauf jener in sich geht und sein unrechtmäßig angeeignetes Vermögen den Armen spendet und die von ihm Geprellten entschädigt.

Danach “Auszüge aus Adams Tagebuch”, in dem sich etwa Adam bei Gott bedankt, dass dieser seine Geburt durch Michelangelo für die Nachwelt festgehalten habe und sich nach einer Affäre mit der Äffin Lucy plötzlich einer kurvenreichen Blondine gegenübersieht, die ihm mitteilt, sie sei Fleisch von seinem Fleische.

Die Zuhörer kritisierten den ersten Text als wenig überzeugende bloße Nacherzählung der entsprechenden Passage aus dem Neuen Testament, während Adams Tagebuch als witziger und geistreicher Einfall goutiert wurde.

Friederike Langer lass unter dem Titel “Nie abgeschickte Briefe” einen fiktiven Brief einer Mutter an ihre Tochter aus dem Mai 2020. Das Publikum war sich nicht sicher, ob Alltägliches wie die Vermutung, dass die Tochter doch im Home-Office viel zu tun hätte, ob die Mutter nicht etwa zu Besuch kommen könne, dass eine Charlotte einen neuen Arbeitsvertrag habe, sowie dass, sie das Schicksal von Astrid Lindgren berühre, Ausdruck einer dahinter liegenden Tragödie sei oder lediglich die Entfremdung zwischen Mutter und Tochter widerspiegele.

“Revolution der Liebe” hieß der Vortrag des nächsten Autors, Gerhard Häusler, ein gedankensprühendes Potpourri mit Texten wie “Lebenskuchen“, “das Mädchen und der Tod” und Aussagen wie dass es im Bayern jetzt mehr Polizei als Hummeln gibt, gerade auch zu Themen wie Krieg, Armut und Depression. Der Autor überzeugte das Publikum mit seinen Texten und seinem Vortrag, nur vereinzelt wurde eine undeutliche Aussprache gerügt.

Zuletzt portraitierte Günter Mitschke mit “Still und starr ruht der See” eine Verkäuferin in der Süßwarenabteilung eines großen Kaufhauses in der Vorweihnachtszeit, die, gequält durch ein im Kaufhaus gespieltes Endlosband mit Weihnachtsliedern, auf ihren Verehrer, den Abteilungsleiter einsticht, als dieser zum Rendezvous ihr ausgerechnet eine CD mit Weihnachtsliedern zum Geschenk macht.

Die Zuhörerschaft kritisierte eine teils abgegriffene Sprache im Reportagestil.

Das Publikum wählte Gerhard Häusler zum Tagessieger und Kandidaten für die Endauswahl zum Haidhauser Werkstattpreis.

Abendbericht von Rainer Kegel