Der Münchner Autor Philipp Stoll gab zunächst ein hübsches Vorspiel mit zwei Kurzgeschichten und ließ dann seinen Roman „Wolf“ folgen. Per Zoom konnten sich beliebig viele Hörer ohne Virusgefahr zuschalten und zunächst die Storys „Seeblick“ und „Aufgebläht“ genießen. In der ersten Geschichte schildert der Autor vordergründig die Begegnung mit einer nackten Frau am See, aber wie das bei Stoll so ist, verbindet sich mit Eros auch Moder, Vergänglichkeit, Schönheit und Angst. Das Publikum wurde nicht ganz so schnell warm damit.
Witziger schien die satirische Geschichte mit der Entlassung aller Gifte, Plastik und Ängste aus dem Darm, von der „Aufgebläht“ erzählt. Mancher Kritiker fand das Fäkale zu vornehm umschrieben, andere hätten sich das Verschwinden des Erzählers am Ende gewünscht, ein Verschwinden des Ich-Erzählers in den Abflussrohren, und brauchte es im 21., post-kafkaesken Jahrhundert noch die Kennzeichnung als „Traum“?
Derart aufregende Fragen stellt der Roman „Wolf“ weniger. Der Autor las zunächst aus der Mitte die Seiten 26 bis 37, und man merkte schnell, wie hart das Brot der längeren Prosa wirklich ist. Es geht ja um Spannungsbögen, um Bezugspersonen, den Aufbau von Sympathiewert, um die Balance von direkter und indirekter Rede. Selbst Frauengestalten (berühmte Autoren lassen sie einfach weg!) wollen lebendig geformt sein, und wenn der Autor seinen „Wolf“ in der dritten Person einführt, muss er überlegen, welche Perspektive halte ich durch, oder wechsle ich? Gerade die Tatsache, dass du in moderner Prosa alles darfst, macht es ja nicht unbedingt leichter! Schön ist immerhin die Figur des „Wolf“ gezeichnet, der durch die erotischen und beruflichen Verzweiflungen und Verlockungen in Coronazeiten geführt wird und heimlich ein Lager mit Wasserstoffperoxid (H2O2) anlegt – ein Stoff, den man – je nach Verdünnung – sowohl für einen Giftanschlag als auch für die gezielte Sprengung verwenden kann. Als zwanghaftem, paranoidem Charakter ist diesem Helden alles zuzutrauen – ein Termin für die Fortsetzung im April 22 wurde schon mal ins Auge gefasst!
Abendbericht von Wolfram Hirche